Drei Kolleginnen in einer Brust

■ Jürgen Berger unterhielt sich mit der Autorin Bettina Fless, deren neues Stück „Asyl“ am kommenden Donnerstag in München uraufgeführt wird

Vor zwei Jahren inszenierte sie ihr Debut „Memmingen“ mit einer eigenen Gruppe. Inzwischen hat die 30jährige Autorin Bettina Fless, die am Berliner Max- Reinhardt-Seminar Schauspiel studierte, diverse Preise eingeheimst; soeben wurde ihre Inszenierung von „Memmingen“ am Landestheater Castrop-Rauxel zum nordrhein- westfälischen Theatertreffen nach Wuppertal eingeladen. Das Münchner Theater im Marstall bringt nun „Asyl“ auf die Bühne: Ein farbiger Ingenieur kommt in einem brennenden Asylbewerberheim ums Leben.

taz: Über einen Flüchtling anderer Hautfarbe ließen sich viele Geschichten erzählen. Sie konfrontieren Ihren Protagonisten mit deutschen Drop-Outs, die in der unwirklichen Situation von Bahnhofschließfächern hausen.

Bettina Fless: Die Drop-Outs waren für mich in mehrfacher Hinsicht wichtig. Zum einen ähnelt ihre Situation der des Flüchtlings, mit dem Unterschied allerdings, daß sie auf ihrer Suche nach Schutz und Sicherheit bereits im Abseits gelandet sind und deshalb den fremden Leidensgenossen in einer brutal verteidigten Rangordnung auf den untersten Platz verweisen. Zum anderen sind sie so etwas wie Werkzeuge, die von Rassisten wie etwa Le Pen benutzt werden und auch vor Gewalttaten nicht zurückschrecken.

Entsteht durch die komplexe gesellschaftliche Thematik für die Autorin Druck, viel Informationen in das Stück packen zu wollen und es weniger mit Blick auf die Figuren zu schreiben?

Es ist eine Frage des künstlerischen Handwerks, inwieweit ich in der Lage bin, nicht nur Informationsträger, sondern lebendige Figuren und Situationen zu schaffen. Ein wunderbares Mittel, das zu erreichen, war schon immer die „Liebe“; man kann von Flucht, Fremdheit und Ausgrenzung über Liebesbeziehungen erzählen, wie sie zum Beispiel Othello und Desdemona, Medea und Jason durchleben. Ich habe mir die Schwierigkeit auferlegt, etwas über die ersten und letzten Stunden des Aufenthalts eines Asylanten in Deutschland zu erzählen. In solch einer Situation eine Liebesgeschichte zu beschreiben, wäre unmöglich gewesen.

Von Theaterleuten hört man häufig die Klage, zeitgenössische Stücke seien nicht gut, selbst bei größter Sensibilität sei nicht viel aus ihnen herauszuholen. Ist da was dran?

Das mag sein. Umgekehrt produziert das Theater aber auch eine ganze Menge von Verhinderungsmechanismen gegenüber jungen Stücken. Elfriede Müller hat ganz richtig bemerkt, daß es heute eine Mentalität in den Theatern gibt, die zum „Uraufführungstod“ junger Stücke führt. Das heißt, sie werden häufig durch nicht gerade berauschende Regisseure und Ensembles uraufgeführt, mißraten zu illustrierten Leseproben und sind weg vom Fenster. Das ist deshalb tragisch, weil die Presse zur Uraufführung gerade noch anreist, zur Zweitaufführung aber nicht mehr.

Einen weiteren ganz banalen Punkt hat mein Kollege Eugen Ruge angesprochen. Neue Stücke kosten Tantiemen, Klassiker nicht. Dann sind da die Zeitprobleme der Regisseure. Will man im deutschen Stadttheater als Regisseur überleben, muß man bis zu vier Inszenierungen pro Jahr machen. Bei sorgfältiger Arbeit bleibt da kaum Zeit, Stücke zu lesen. Hinzu kommt, daß junge Stücke sich viel zu häufig an klassischen Stücken messen lassen müssen und nicht aus sich selbst heraus beurteilt werden. Es gibt die Meinung, die großen Ereignisse der Theaterliteratur seien ausschließlich in der Vergangenheit zu finden. Würde ich dem folgen, käme ich mir wie in einer riesigen Halle vor, in der auf hundert Säulen die Büsten der „großen“ Schriftsteller ruhen. In diesem Wald der Berühmtheit irre ich nun als junge Autorin herum, bis plötzlich eine Schar von Theaterkritikern mit einem Maßband auftaucht und der Befehl erklingt — Autor an die Säule. Und schon ist's passiert: Shakespeare ist vier Meter hoch, die Jungautorin aber nur 1,65, und also schütteln die Kritiker die Köpfe und meinen, das reicht nicht, junge Freundin. Würde ich mich davon beeinflussen lassen, bliebe mir eigentlich nur, meine Schreibmaschine aus dem Fester zu werfen.

Sie haben bewußt auf eine Liebesgeschichte verzichtet. Kann es sein, daß da — für die Anfängerin — auch handwerkliche Probleme mitspielen?

Es hat eher damit zu tun, daß Schreiben eine teure Angelegenheit ist, weil man sehr viel Zeit braucht. Es ist ein großer Unterschied, ob ich an einem Stück ein Jahr oder einen Monat arbeite, und wie ich mir diese Schreibphasen finanzieren kann. Die Schnelligkeit, die ich bisher an den Tag legte, hatte allerdings auch mit der Aktualität meiner Stücke zu tun. Bei Memmingen zum Beispiel dachte ich: Wenn es rauskommen soll, dann jetzt sofort.

Sind Sie als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin nicht hoffnungslos überlastet?

Manchmal fühle ich mich tatsächlich wie eine Zollbeamtin an drei Grenzen, oder als wohnten ach — drei Kolleginnen in meiner Brust. Die Zeitnot ist groß, aber ich bin zum Beispiel nicht bereit, die Schauspielerei aufzugeben, nur weil ich mit einer Menge mieser Regisseure arbeiten mußte. Genau deshalb möchte ich auch weiter inszenieren. Ein weiterer nicht unerheblicher Grund ist, daß ich mit der Schauspielerei und dem Inszenieren meine „Schreibarbeit“ halbwegs finanzieren kann.

Sie wollten in Ludwigshafen ein „Ernst Bloch Theater“ nach dem Modell von Roberto Ciullis „Theater an der Ruhr“ gründen. Es scheiterte daran, daß der inzwischen in die Landespolitik entfleuchte Kulturdezernent nicht mitzog.

Ich empfinde es immer noch wie eine Mißhandlung, nicht zuletzt deshalb, weil es den Untergang der Gruppe zur Folge hatte, mit der ich ein Faßbinder-Stück und Memmingen inszenierte — zwei Inszenierungen, die ausgezeichnet wurden. Wir stellten minimale Forderungen in bezug auf Raum und Geld, es wurde uns aber nur Mißtrauen entgegengebracht. Heute hat man als Freie Gruppe nur dann Aussicht auf Förderung, wenn man auf Boulevard und Publikumsrenner setzt.