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Fromm und Flott

■ „Tartüffe“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Frömmelei ist das aktuellste Thema nicht. Jean Baptiste Poquelin, genannt Molière, hatte sich mit seinem Tartüffe bei der ersten Aufführung 1664 vor dem König in Versailles freilich die heftige Kritik des Klerus zugezogen. Denn Tartüffe, der Betrüger unter dem Deckmantel der Frömmigkeit, ist kein löblicher Vertreter seines Standes.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters wagte sich nun der junge Nachwuchs-Regisseur Anselm Weber, von dem man als einem der zukünftigen Hausregisseure spricht, an die dramaturgisch mit Längen und Schwächen ausgestattete Komödie. Akrobatischer Kunststücke, schriller Farben bedarf es, um das Stück zu beleben. Und Anselm Weber bedient sich aller Register, stellt eine flotte Inszenierung vor mit vielen gelungenen komischen Momenten.

Die Bühne ist gelb — stechend, wild gemustert, Stellwände, die einen unruhigen Raum bilden, mit wandelbaren Grundtönen, vom herrschaftlichen Dunkelrot bis zum kühlen Blau. Ganz oben sind zwei Fenster, an denen Frauen stehen und der sehr schönen Musik (Tom van der Geld) lauschen.

Aus einem Spiegel heraus treten die Mitglieder und Angestellten der Familie Orgons auf, sie jagen durch den Zuschauerraum, springen auf die Bühne und wieder herunter, sie tanzen und turnen — und zwischen all der Geschwindigkeit gibt es Momente stiller ruhiger Komik. Ein solcher Moment ist die erste unflätige Annäherung, die der scheinheilige Tartüffe an die Frau des Hauses wagt. Er war mit dem Aufzug gekommen, sie benutzte die Treppe. Nun sitzen sie nebeneinander, und ihr Kleid ist so schön weich.

Orgon, der Ehemann, wird von seinem verehrten Tartüffe hintergangen, dem er seine Tochter und sein Vermögen sowieso schon freiwillig hingegeben hat. Kritische Stimmen sind in dem Klüngel nicht gefragt. Nur die Kammerfrau (Jutta Wachowiak) hat einen aufmüpfigen Text und spielt ihn auf eine schöne Weise einnehmend. Orgons Sohn (Daniel Morgenroth) und Schwager (Horst Lebinsky) und all die anderen müssen mit Gestik und Tonfall ihre Rebellion andeuten, wobei die Inszenierung ein gutes Gleichgewicht fand zwischen Aufmüpfigkeit und Gehorsam. Allein, es nützt nichts, Orgon (Klaus Piontek) ist Tartüffe verfallen, warum, das wird im Drama nicht erklärt. Bernd Stempel spielt den Tartüffe absichtlich farblos zwischen den schrillen Wänden, zurückgenommen, wie es sich für den Titelhelden einer Komödie gehört, der erst im dritten Akt auftreten darf.

Er ist nicht der einzige Bösewicht, schuld sind sie alle ein wenig. Am Ende wird die Bühne demontiert, und die Mitglieder der Familie müssen ihre historischen Kostüme ausziehen. Alle Habe scheint verloren, Tartüffe hat sie betrogen, aber da tritt schnell noch der gute Staat dazwischen, der König mit seinem Sinn für Gerechtigkeit. Ein vielfach kritisierter Schluß, eine von Molière tatsächlich etwas dick aufgetragene Hommage an LudwigXIV. Webers Inszenierung bezieht dieses Befremden mit ein und erweist sich dadurch bis zum letzten Moment als kluge interessante Arbeit. Margit Knapp Cazzola

Molière: Tartüffe. Kammerspiele des Deutschen Theaters. Regie: Anselm Weber. Bühne und Kostüme: Manuel Fabritz. Mit: Käthe Reichel, Klaus Piontek, Eva Weißenborn, Daniel Morgenroth, Horst Lebinsky, Bernd Stempel, Jutta Wachowiak. Nächste Aufführungen: 21. und 27.April.

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