: Eigenumnachtung, Selbstverdruß
Premieren von Beckett und Schwab in Hamburg ■ Von Lore Kleinert
Hamm und Clov, Nagg und Nell leben in einem leeren Raum. Er ist von dunklen Wänden umgeben, über die Clov, der Diener, hin und wieder mit einem Fernglas späht. Der blinde Herr Hamm im Rollstuhl und sein Diener Clov mit den verbundenen Beinen spielen das Spiel derer, die hoffnungslos ineinander verstrickt und elend einsam sind. Sie zelebrieren einen langen Endkampf der Banalitäten, und weil sie Geschöpfe des Samuel Beckett sind, besteht ihre Verstrickung aus Sprache. Sie spielen ihren Vorrat an Sätzen, Fragmenten, Erinnerungen durch bis an die Grenze der Sprache, sind Zuhörer oder Schwadroneur, blinder Seher oder Clown, ohne je wirklich zu hören oder zu bewegen. 1957 wurde Becketts Endspiel uraufgeführt; Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung 34 Jahre später riß das Publikum des Thalia Theaters zu Begeisterungsstürmen hin.
Der österreichische Dramatiker Werner Schwab ist 34 Jahre alt, und seine HausgenossInnen wurden einen Tag später im Malersaal ebenfalls gefeiert. Sie sind von Möbeln umgeben: In einer Wohnküche mit Blattpflanzen und Wandbehang mit Papstkonterfrei bekriegen sich der rothaarige Hermann mit dem Klumpfuß und seine bigotte Mutter, Frau Wurm, bis fast zum Mord. Die Familie Kovacic zwischen Schleiflackwand und geblümten Sitzmöbeln feiert ihre österreichische Eigenart, bis der Vater den Goldhamster erwürgt und die drallere seiner beiden Töchter begrabscht. Im Salon der schwarzen Witwe Grollfeier (Ortrud Beginnen) schließlich finden sie alle ihr Ende und ihre Wiederauferstehung.
Ihm gehe es darum, sagte Werner Schwab, „Sprechkörper zu Menschenkörpern zu machen“. Im bislang vierten seiner „Fäkaliendramen“, denen jetzt fünf „Königskomödien“ folgen sollen, dünsten seine Nachbarschaftsmonster gewaltige Sprachwolken aus, in denen sich ihre armselige Existenz verdinglicht und substantiviert. Alles, was sonst gnädigerweise im Inneren des Kopfes verbleibt, jede Gewaltphantasie, jede verdrehte Sehnsucht schleudern sie sich entgegen wie die HeldInnen antiker Trauerspiele. „Ich habe dir das Leben in den Körper hineingeschenkt“, quält Frau Wurm (Eva Brumby) ihren Hermann, „und ich verfluche dich in alle schmerzhaften Schmerzen hinunter, wo man dir das andauernd nachwachsende Geschlechtsteil wieder wegschneiden wird“, und die Hausbesitzerin Grollfeuer, Psychiaterswitwe mit Übermenschenwahn, kommt, nachdem sie ihre Gäste an der langen Tafel vergiftet hat, zu dem Schluß, es gebe keinen Menschen, „und wenn es einen gibt, dann ist er, wie ich, versteckt und verhaßt... Eigenumnachtung aus Selbstverdrießlichkeit.“ Die Differenz zwischen der überhöhten Kunstsprache, dem „Schwäbisch“ des Grazers Werner Schwab und den monströs-widerlichen Bestrebungen seiner Haus- und Volksgemeinschaft, bietet viel Raum für schwärzeste Komik, sind sie einander doch nichts als „lautstarke Tiere, die sich bedauerlicherweise vermehrt haben“, und haben doch niemand anderen. Mitunter jedoch haben selbst so glänzende Schauspieler wie Gerhard Garbers, Ingo Hülsmann und Heide Grübl Mühe, die Sprechkörper derart in Bewegung zu halten, daß die Menschenkörper nicht erdrückt werden. Werner Schwabs Zweifel an der Sprache, sein Wissen um das Elend der Menschen ließen ihn Sprache neu erfinden, überladen mitunter und überstilisiert, aber voller Kraft und Witz und fern von allem Sozialkitsch. In seinem Sinn für Situationskomik, den Monika Steils Inszenierung grell beleuchtet, trifft er sich mit dem Iren Samuel Beckett, der dieses Prinzip des „Knockabout“ pries, weil es „dramatisches Zerplatzen am eindringlichsten vermittelt“, wenn Geist und Welt irreparabel auseinanderbrechen (Windfalls, 1934). Becketts Herr und Diener haben im Thalia Theater blutige Gesichter; die Verletzungen von Schwabs Figuren sind schmerzlicher und konkreter, weil er ihre Ursachen deutlich benennt: Inzest, sexueller Mißbrauch, Gefühlsarmut, Haß. Doch während in seiner Volksvernichtung die Wiederauferstehung der Vergifteten zum Bild dafür wird, daß die Katastrophe nicht aufhört, solange Leben in den Menschen ist, sind Becketts Rituale der nicht endenden Erschöpfung totales Theater. Es kommt mit den einfachsten Mitteln aus: dem Spiel mit den Rollen, ihrem Einhalten und der Abweichung, der Annäherung und dem Abstoßen der Menschen. Hamm mit der Blindenbrille und dem dreibeinigen Stoffhund (Sven-Erik Bechtolf) herrscht den Diener an: „Da ist jemand, geh ihn ausrotten“, und alle Komik im artistischen Spiel Clovs mit der Leiter, dem Fernglas oder dem Rollstuhl implodiert und macht Platz für den winzigen konzentrierten Augenblick, in dem die Zeit stillsteht. Sprengers Inszenierung vertraut auf Beckett selbst, der ja nicht nur Dichter war, sondern auch Regisseur: „Keine Psychologie, keine Fragen, alles steht im Spiel. Ein Spiel, nichts weniger.“ Seine Sprache geht im großartigen Spiel der Darsteller, vor allem Stefan Kurt als Clov, auf, bis sie endgültig aufgezehrt ist. Werner Schwabs Figuren sind zu gequält und zu wirklich, als daß sie ihr Eingehülltsein in Sprache, und zwar eine andere als die des Alltags, in Kauf nehmen könnten, und sie beklagen sich: „Es ist Sprache, bloß reagierende Davonvogelsprache, gesprochener Spuk, wissen Sie, ich hatte nie einen Menschen, eine jahrzehntelange Ungeduld, ein mitleidloses Alleinsein...“ Könnten sie in einen Dialog treten, würden Becketts Figuren ihnen entgegnen, sie seien längst jenseits der Klage über ihre Einsamkeit; Schmerz und Lachen sind in ihren sinnlosen und rührenden Aktionen so miteinander verschmolzen, daß sie die Bühne mühelos und leicht füllen und den stärkstmöglichen Eindruck hinterlassen. Die Frage nach der „Menschkörperwerdung von Sprechkörpern“ stellt sich keinen Augenblick lang. Als Hilfskonstruktion ist sie gleichwohl tauglich, denn immerhin setzt Werner Schwab sich großen Maßstäben aus, wie sie von Beckett oder auch Thomas Bernhard gesetzt wurden, und das Publikum beider großer Theater in Hamburg — hatte Glück.
Theaterpremieren in Hamburg:
Samuel Beckett: Endspiel. Regie: Wolf-Dietrich Sprenger, Thalia Theater. Nächste Aufführung am 27.April.
Werner Schwab: Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos. Regie: Monika Steil, Schauspielhaus/Malersaal. Nächste Aufführungen: 15., 16. und 25.April.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen