INTERVIEW
: „Kirche WIE der Sozialismus“

■ Richard Schröder, Philosophieprofessor an der Humboldt-Uni und SPD-Mitglied, zum Gauck-Gutachten gegen Stolpe

taz: Selbst nach dem Gutachten der Gauck-Behörde, in dem Manfred Stolpe als „wichtiger IM“ eingestuft wird, sagt der Ministerpräsident, er sei „nicht belastet“.

Richard Schröder: Die Frage der Maßstäbe ist sehr schwierig. Das Wort „IM“ ist durch das Stasi- Unterlagen-Gesetz definiert. Danach ist ein IM, wer sich „zur Mitarbeit verpflichtet hat“. Gauck aber benützt einen anderen Begriff: nämlich daß derjenige, der zur vertraulichen Mitarbeit bereit war, ein IM war. Im Sinne des Stasi-Unterlagen- Gesetzes ist Stolpe kein IM gewesen. Im Sinne der internen Terminologie der Stasi offensichtlich ja.

Aber halten Sie — jenseits von solchen formalen Definitionsfragen — Stolpe für belastet?

Die Kirche wollte den Eindruck vermeiden, sie sei selbst eine konspirative Organisation des Feindes. Deshalb gab es eine erhebliche Bereitschaft, kirchliche Vorgänge und Meinungsbildungsprozesse für die andere Seite durchsichtig zu machen. Soweit Stolpe oder andere etwas dafür getan haben, daß das kirchliche Handeln als nicht konspirativ, feindlich-negativ erscheint, ist das im Sinne der Kirchenpolitik zu akzeptieren. Freilich gibt es trotzdem einen Rest, den ich als „Kirche wie der Sozialismus“ bezeichnen würde. So wie in diesem Staat gemauschelt wurde, bildete sich auch auf Kirchenseite eine ähnliche Struktur.

Wenn Stolpe nur im Interesse der Kirche gearbeitet hat, warum ging er dann in konspirative Wohnungen und bat um Termine, die nicht über sein Sekretariat abgewickelt wurden?

Die Sache konzentriert sich auf die Frage: Durfte er solche Gespräche unter vier Augen führen? Er hat hier das gewagte Spiel weitergetrieben als andere. Er hatte aber auch eine Sonderstellung, durch die Intensität der Kontakte und dadurch, daß er der einzige war, der Kontakte in Richtung Partei und ZK hatte. Stolpe war mit der einflußreichste Mann in der Ost-Kirche und aufgrund seiner engen Beziehungen zur Bundesrepublik auch enorm einflußreich in deutschlandpolitischer Hinsicht. Daß er auch noch Kontakte zu dem anderen Machtzentrum hatte, der Kirchenabteilung bei der Stasi, haben nur manche gewußt. Propst Furian zum Beispiel, Oberkonsistorialrat Plaath aus Greifswald, Pfarrer Braune und Pfarrer Passauer. Der Vorwurf der Konspiration kann so nicht aufrechterhalten werden.

Aber Bischof Forck, der Stolpes Vorgesetzter als Konsistorialpräsident war, hat nach seinen Aussagen nichts gewußt.

Forck hat wohl auch nie konkret gefragt.

Sie haben gesagt, die Stasi hätte noch andere Kirchenleute ohne ihr Wissen als IM geführt.

Ja, es gibt zwei Beispiele aus der evangelischen Kirche: Jochen Jäger, Propst in Nordhausen und Landeskirchenrat von Brück. Aber auch bei einem katholischen Kollegen, dessen Akte ich vorliegen habe, wird der Vorschlag gemacht, ihn als IM zu führen, ohne Verpflichtung und ohne Werbungsgespräch. Ohne Werbung heißt: Die haben nicht gesagt, wir verstehen sie als unseren Mitarbeiter.

Stolpe hat gesagt, er habe in der Kirche neun Mitstreiter gehabt, die ähnliche Kontakte zur Stasi gepflegt und sich untereinander informiert hätten. Einer soll tot sein, aber auch von den anderen hat sich niemand zu Wort gemeldet.

Die haben offenbar nicht den Mut und haben aus der Art, wie mit Stolpe umgegangen wird, offenbar den Schluß gezogen: Ich mache doch nicht Harakiri. Ich begrüße das nicht.

Sie kennen einige dieser acht Leute?

Ich kenne noch weitere Leute, die von Stolpes Stasi-Kontakten wußten.

Halten Sie Stolpe in seinem Amt weiterhin für tragbar?

Es gibt hier zwei Gesichtspunkte: den des politischen Stils und die Folgen des Rücktritts. Ein Rücktritt wäre ein schwerer Schlag gegen die emotionale Einigung. Natürlich kann man nicht sagen, wir brauchen den Mann und übersehen deshalb, was er gemacht hat. Aber es kann auch nicht gehen, daß man mit Maßstäben, die die verzwickten DDR-Verhältnisse nicht berücksichtigen, von Stolpe verlangt, daß er zurücktritt.

Sie haben doch selbst immer gefordert, daß niemand, der Vertrauen mißbraucht hat, wieder in Vertrauenspositionen kommen darf.

Das Vertrauen in Stolpe ist für mich nocht nicht erschüttert.

Das Bündnis 90 kennt die Ost-Verhältnisse und hält Stope trotzdem für „sehr belastet“.

Da gibt es einen Grunddissens zwischen den Generationen. Jüngere Leute wie im Bündnis sind der Ansicht, man hätte überhaupt nicht mit der Stasi reden sollen, und die Kirche hätte mit dazu beigetragen, die SED-Herrschaft aufrechtzuerhalten. Ältere Leute wie Stolpe und ich sagen: Steht nicht in der Bibel geschrieben, daß Daniel die Löwen in den Schwanz gekniffen hat? Das heißt, wir hatten immer das Gefühl, reiz sie nicht zuviel, sie haben den Finger am Abzug. Man denke nur an Leipzig. Aber damit ist die Kirchenpolitik, wie sie Stolpe und Schönherr betrieben haben, nicht aus der Kritik heraus. Interview: Bascha Mika