Auferstanden aus Ruinen

■ »Anasthasis« — Ein österliches (Gesamt-)Kunstprojekt in der literaturWERKstatt Pankow

Alles so wie früher: Besonders für den Majakowskiring in Pankow, einst grüner Nobelvorort und Nachrückstation für die Waldsiedlung Wandlitz, gilt das nun überhaupt nicht mehr. Hier wohnten und wohnen zwar noch immer Krenz und Kegel, wenn sie nicht schon gestorben sind — wie Johannes R. Becher, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl; dessen Villa fiel nach seinem Tod an den Schriftstellerverband der verflossenen DDR. Nach der Wende steht sie nun aber endlich dem Volke offen — soweit man darunter die Überreste der Subversiv-Poeten vom Prenzelberg und deren Gefolgschaft versteht.

Und doch ist der Majakowskiring wie früher, wie andere luxuriöse Villenvororte in Westdeutschland, die man sich als Pennäler nach dem Motto eroberte: Je größer der Bungalow, desto besser die Party — nämlich dann, wenn die Eltern verreist waren. Die literaturWERKstatt in der ehemaligen Grotewohl-Villa dient zur Fortsetzung dieses spätpubertären Freizeitvergnügens mit anderen Mitteln: Geplündert wird bloß nicht mehr der Weinkeller der sich auf Reisen befindenden Eltern, sondern der Kulturetat des Senats. Aus Angst vor dem Buhmann-Image des Abwicklers sowie aus taktischem Respekt vor dem Gegner »Schriftstellerverband« ist hier eine alternative Kreativ-Oase für die damals Zukurzgekommenen entstanden, die ihresgleichen sucht.

Der Flur mit dunkler Holztäfelung, die Gesellschaftsräume noch im realen Satiredekor: braune Cord- Garnitur auf grüner Plastikschlinge. Spontaneistisch wird darin für die jeweiligen literarischen Veranstaltungen mit dem vorhandenen Mobiliar ein Kulturerlebnisraum geschaffen. Meistens handelt es sich dabei um Lesungen, und die funktionieren immer nach Schema F: Der Literat liest, das Volk fragt — fast wie bei Kiepert und dem Kaufhaus mit der Kopfbewegung: also zutiefst bürgerlich. Das schreit förmlich nach Abwechslung.

Da Ostern gerade vor der Tür steht, drängt sich dieses kulturelle Urfest thematisch mehr als auf. Noch dazu ist Ostern multikulturell und kosmopolitisch: Ostern feiert jeder irgendwie — Christen, Juden und Heiden. Die Künstler nannten das Ei — oder Kunstprojekt — »Anastasis«, was im Griechischen soviel wie Auferstehung, aber auch Aufstand heißt; womit auch dem Subversiven Genüge geleistet wäre.

Rechts und links an den Seiten der Villa befinden sich die Ränge, auf denen rund sechzig Zuschauer Platz nehmen. Zwischen ihnen ist auf eine Länge von dreißig Metern eine weiße Gangway ausgerollt, in deren Mitte unter dem sozialistischen Kronleuchter ein Tisch steht. An den Ecken jeweils ein altes Radiogerät — und fertig ist die Minimalkulisse. Diese wird zunächst von drei Anhängern einer russisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft betreten, die auf hingebungsvolle Weise ein liturgisches Lied in ihrer Landessprache vortragen: drei Stimmen für ein Halleluja, die aus tiefstem Herzen kommen und das kindliche Gefühl zurückrufen, sich ohne nachzufragen in den Glauben fallen lassen zu können.

Nach deren Abgang macht sich eine Tänzerin am, auf und um den Tisch herum zu schaffen. Sie sollte eigentlich eine Jüdin sein, bloß ließ sich nur eine Südamerikanerin auftreiben, was zwar die pantheistische Grundidee des Projekts beeinträchtigt, aber den körperlichen Einsatz der Künstlerin nicht bremsen kann. Während ihres Ausdruckstanzes wird sie abwechselnd begleitet: Entweder von collagierten Klängen, die mit ihren Wummer-Bässen beinahe die schöne Villa zum Einstürzen zu bringen droht. Oder vom eigentlichen Star des Abends: Bert Papenfuß-Gorek, dem letzten Cowboy vom Prenzlauer Berg — nebenbei einer der letzten gelittenen Lyriker dortiger Provenienz. Er sorgt für das protestantische Element der Veranstaltung, das Wort.

An Wörtern mangelt es ihm wirklich nicht: Seine Texte prasseln wie eine Laienpredigt auf die Zuhörer. Bloß handelt es sich eher um Gebrauchs-Prosa in Zellophanverpackung. Mal reimt es sich am Ende, mal sind es nur Alliterationen. Um die Abschaffung der Mysterienhoffnung soll es gehen. Tut es auch, aber das geht unter in der Beliebigkeit des Papenfuß-Gorekschen literarischen Bauchladens, dessen erheiterndste Passage aus dem Off ungewollt mittels Mikrophon zum Zuschauer vordringt: »Einmal noch, dann ist das Theater vorbei.«

Zum Abschluß verkündet er aufbauend: »Alle Menschen werden Schwestern«, und wenn das erst geschafft ist, bleibt tatsächlich kein Mysterium mehr offen — wobei der gelungene Querverweis auf den Sozialismus nicht unbemerkt blieb. Das Katholische an dem Religions- Kunstprojekt fand sich übrigens in der Person einer situationistischen Malerin, die das Geschehen mit schnellen Strichen auf dutzenden Skizzenblättern festhielt.

Alles wie früher. Dieses religiöse Kunstprojekt führt mit seinem Untertitel »Gesamtkunstwerk« auf die richtige Fährte — nämlich die frühen achtziger Jahre, als so etwas ein paar Kilometer weiter westlich ganz hoch im Kurs stand. Nur fand es da nicht in so einer schönen Villa statt wie der von Otto Grotewohl, deren ganze Pracht sich nach der Performance auf der Terasse im ersten Stock entfaltet. Mit Blick auf das Gehege, in dem Grotewohl angeblich seine Böcke geschossen haben soll, gibt es zwanglose Gespräche über das Kulturelle und den Alltag: Zum Beispiel die neue Lufthansa-Werbung am Maschinenheck, nachts mit Beleuchtung (die Villa liegt — kleiner Schönheitsfehler — in der Einflugschneise von Tegel). Jemand anderes weiß von einer Traum-Terasse in der Karl-Marx-Allee, bloß war da die Stasi drin, nachdem die Vermieter rübergemacht hatten. Ganz anders ein Fall aus Erfurt. Da hat ein Paar erst auf Ehestreit und dann rübergemacht, und das einzige, was sie der Stasi hinterlassen haben, war ein Haufen Scheiße auf dem Tisch in der ansonsten leeren Wohnung. Auch die Kunst war früher eben anders. Lutz Ehrlich