Ihre smaragdenen Augen, ihr Porzellangesicht

■ „Kreatives Schreiben“ am Ende der Welt: Getreulicher Bericht von einem Schreibseminar in Ostfriesland / Wohlige Peinlichkeit

In Weltende-Orten wie Sande, Schortens, Zetel, weit draußen im friesischen Land, gibt es kein städtisches „Literaturpostamt“ und keine „Poesietherapien“. Wer hier, an einer der kleinen Land-Volkshochschulen, den Wochenendkurs „Kreatives Schreiben“ anbieten will, muß glaubwürdig sein und seriös, um die literarischen Einzelgänger aus der Reserve zu locken. Wie der Professor aus Hamburg, der soeben den Raum betritt: Mitte vierzig, gutgekleidet, mit einer Aktentasche voll Aufgabenmaterial und einer ernsthaften Routine im Begrüßungsritual. Höchstens sein melancholischer Blick und die junge Studentin, die er im Gefolge hat, weisen daraufhin, daß auch er, wie natürlich alle anderen zehn Teilnehmer dieser Schreibwerkstatt, tiefere, persönliche Gründe für seine Beschäftigung mit dem Schreiben hat.

So wie Burkhard, der Bahnbeamte. Als alle zu ihrer Vorstellung ein Wort nennen sollen, das ihnen im Moment viel bedeutet, krakelt er auf sein Namensschildchen „Angst“ und erntet damit skeptische Blicke, auch und gerade von der gemütlichen Hausfrau Hilde und der forschen Fußpflegerin Elke, die beide das schöne Wort „Frühling“ gewählt haben. Der pensionierte Pastor glänzt mit „shortstory“, woraufhin der halbtaube Landwirt Hans (Stichwort „Hören“) erstmal fragt, was das denn heißt. John, ein zappeliger, rotwangiger Student, nennt „Bewegung“; die junge Studentin, es war auch kaum anders zu erwarten, „Liebe“. Und auch der Professor geht ein kleines Risiko ein, „Aufgeben“ ist sein Wort: „Natürlich nur, weil ich Ihnen Schreibaufgaben aufgeben werde“, sagt er, lächelt und stellt auch gleich die erste Aufgabe: alle 12 Wörter in einem Text so unterzubringen, als seien sie freiwillig gewählt.

Das Prinzip des Kreativen Schreibens: in und mit einer Gruppe muß man Schreibaufgaben lösen, die dann gleich nachher reihum vorgelesen werden. Niemand darf sich drücken, niemand aber auch will sich drücken. Es ist spannend, für einen kurzen Augenblick mit seinem Text im Mittelpunkt zu stehen und die Erfahrung zu machen, wie gut er im allgemeinen ankommt. Man erfährt überraschend viel über die anderen Teilnehmer. Der „ängstliche“ Bahnbeamte benutzt eine so kompliziert unbestimmte Spra

Motto, bei Musengeküßten nicht unumstritten, in Schreibwerkstätten ProgrammFoto: Tristan Vankann / Idee: Jürgen Humburg

che, spricht von „osmotischer Liebe“ und „esotherischer Bewegung“, daß sich die anderen höchst beeindruckt geben. Der Pastor hat, geübt wie er ist, in rasender Geschwindigkeit drei Seiten vollgeschrieben, die er jetzt im salbungsvollen Ton vorliest. Und Gudrun, ehemals Sekretärin, bringt eine verquälte Liebesgeschichte, die man so unschwer als ihre eigene erkennen kann, daß sich alle in wohliger Peinlichkeit kringeln.

Die nächste Schreibaufgabe: Gedichte sollen geschrieben werden, deren Zeilenanordnung Dreiecke, Sterne oder Rhoben ergeben müssen. Etwa so:

Ich

sage Dir

mal eben schnell

ich liebe

dich

oder:

Ich

sage Dir

mal eben schnell

Du kannst mich mal.

Die Stimmung ist gut, nachdem sich alle noch ein paar Notizen über Zeilensprung und Rhythmus gemacht haben.

Bis auf den halbtauben Landwirt, der hatte erfahren müssen, daß er seine 30-seitige Biographie nicht würde vorlesen können,

hier Schreiben kann jeder

sind heute alle wieder versammelt. Diesmal geht es um ein Personenportrait. Jeder soll an einen Menschen aus seiner Bekanntschaft denken und ihn lebendig in seinen typischen Eigenschaften schildern. Schweigen senkt sich über die Gruppe, höchste Konzentration. Britta, die ehemalige Lehrerin, schreibt mit einer kratzigen Feder, bis sie merkt, daß das stört, und doch den Kuli nimmt. Nur der Professor darf in Büchern blättern. Er hat schon einen Text aus der vorigen Schreibwerkstatt dabei. Ab und zu hört man verhaltenes Stöhnen. Nach

anderthalb Stunden und einer Erholungspause beginnt Hilde das Vorlesen. Es ist ein recht langatmiger Text über eine verwirrte alte Frau. Auf Seite zwei beginnt Hildes Stimme zu zittern. Sie reicht den Text zu Gudrun weiter, die ihn zuende vorlesen muß, während Hilde leise weint. Die alte Frau ist ihre Mutter, wie sich herausstellt. — Vielleicht, meint der Professor, sei dieser Text ein bißchen zu wahr, man könne durch Stilisierung einen persönlichen Abstand bekommen und dazu erreichen, daß die Leser einen Typus wiedererkennen.

Diese Erklärung tut allen gut, denn im Gegensatz zu Hilde hat die Beschreibung die anderen eher kalt gelassen. Bei John ist das anders. Er schwärmt von seiner Freundin so begeistert und unbefangen, daß die meisten älteren Teilnehmer ganz gerührt sind. Gudruns Liebhaber dagegen scheint ziemlich langweilig zu sein, zumindest ist es ihr Text, den Gudrun so heftig verteidigt, als habe man mit den andeutungsweise kritischen Bemerkungen tatsächlich ihre Liebeswahl in Frage stellen wollen. Diesen kleinen Streit greift der Professor auf, um an der Tafel typische Schreibhaltungen vorzuführen: „Die meisten von Ihnen“, erklärt er mit verständnisvoller Stimme, „haben das Verhältnis von Autor- Gegenstand im Auge. Viel wichtiger aber ist das Verhältnis Autor-Leser. Dem Leser zuliebe muß man auch mal von der Wirklichkeit abweichen, denn“ — er blinzelt verschmitzt, „es sind doch die Leser, die wir verführen wollen, nicht wahr?“

Ja, das leuchtet ein, nur hat Elke, die Fußpflegerin, jetzt eine leichte Scheu, ihr Portait vorzulesen. Nicht ohne Grund. Es ist eine phantastische Hymne auf die Schönheit einer jungen Kollegin (“ihre smaragdenen Augen, ihr Porzellangesicht, das goldene Blond ihrer Haare“), die die Zuhörenden allerdings weniger von dieser Kollegin überzeugt als davon, daß die Fußpflegerin ganz wahnsinnig verliebt sein muß...

Ab und zu hört man verhaltenes Stöhnen

Der letzte Tag: das „Metaphernspiel“. Was wärst Du als Baum, als Tier, als Kleidungsstück? Die zarte Britta macht sich zu einer kämpferischen Löwin; die junge Studentin zur Wölfin, die mit dem schönem Leitwolf geht. Die Fußpflegerin wird zum warmen Mantel, der sich um eine Petra schmiegt, und der Professor gar zum Ohrensessel, obwohl er mehr so aussieht, als sehne er sich danach. Alle erscheinen in ihren Texten als Sieger, selbst die sanfte Hilde als galoppierendes Pferd. Einzig dem Bahnbeamten Burkhard ist nicht zu helfen. Er ist der Winter ohne Aussicht auf Frühling.

Abschied, Schluß, aus, ob man will oder nicht. Dem Professor werden die Hände gedrückt, er solle unbedingt wiederkommen. Da er es so halb verspricht, gründet sich spontan eine Gruppe, die die Zeit mit monatlichen Treffen überbrücken will. Cornelia Kurth