Bewährung wegen „Bremer Verhältnissen“

■ Staatsangestellter unterschlug 400.000 Mark / Mangelhafte Kontrolle durch drei Senatoren

Wer in Bremen im öffentlichen Dienst arbeitet und in die Kasse greift, der kann auf mildernde Umstände hoffen. Das ist das erstaunliche Resultat eines Unterschlagungsprozesses, der gestern am Bremer Landgericht verhandelt worden ist. Peter L., der frühere Verwaltungschef des Bremer Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP) an der Universität, hatte über sechs Jahre mindestens 400.000 Mark veruntreut und verspielt. Dafür hat er jetzt eine Strafe von nur zwei Jahren auf Bewährung erhalten. Peter L. habe derart unbehelligt von jeder Kontrolle operieren können, daß dies als strafmildernd gelten müsse, erklärte der Vorsitzende Richter: „Man muß hier von den Bremer Verhältnissen reden.“

Offenbar hatte es vor Prozeßbeginn Absprachen zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Richtern gegeben, den Fall schnell abzuschließen. Peter L. war geständig, das schien dem Gericht wie der Staatsanwaltschaft auszureichen. Zeugen

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Das ZERP, aus EG- und anderen Drittmitteln finanziert, ist als Stiftung an die Universität angegliedert und erhält jährlich einen Zuschuß von 200.000 Mark aus Landesmitteln.

Rechtsanwalt und Richter waren sich einig, daß es dem angeklagten Verwaltungschef extrem leicht gemacht worden sei. Das dreiköpfige Direktorium des Zerp habe ihm blind vertraut. Er konnte alle finanziellen Transaktionen ohne Gegenunterschrift aus dem Direktorium abwickeln. „Da hat es doch keinerlei Distanz gegeben, das war doch alles so eine Kumpelei, alle waren per du, selbst bei der Abmahnung.“ Nachdem das Loch in der Kasse bei einer Betriebsprüfung bekannt geworden war, war der Verwaltungschef nicht mehr zum Dienst erschienen. Richter Kratsch: „Und die Abmahnung beginnt mit 'Lieber Peter'. Das ist Bremen.“

Neben dem Direktorium hat aber vor allem das Kuratorium versagt. Nach der Satzung des

ZERP hat das Kuratorium die Aufgabe, über den Wirtschafts- und Stellenplan sowie über den Jahresabschluß zu beschließen. Doch weder Wirtschaftsplan noch Jahresabschluß wurden je vorgelegt. Das scheint niemanden gestört zu haben, denn die Vorlagen seien nie angemahnt worden, wurde im Prozeß bekannt. Das Land Bremen als Stiftungsgeber habe auch nie eine Kosten/Nutzen-Rechnung verlangt. So konnte der Verwaltungschef unbemerkt in die eigene Tasche wirtschaften. Im ersten Jahr waren es noch 25.000, im letzten 110.000 Mark, bevor 1989 die Betriebsprüfung kam.

„Nach Bekanntwerden des Falles hat das Kuratorium reichlich Sitzungen gehabt und organisatorische Konsequenzen gezogen“, erzählt Manfred Rupert, stellvertretender Sprecher des Bildungssenators. Personelle Konsequenzen habe es in dem hochrangig zusammengesetzten Gremium trotz des eklatanten Versagens nicht gegeben. Im Kuratorium sitzen neben einem Vertreter des Akademischen Senats und zwei Professoren des Jura- Fachbereichs je ein Vertreter des Justiz-, des Bildungs- und des Finanzsenators und ein siebtes Mitglied, auf das sich alle anderen einigen.

Wer da für Bremen geschlafen hat, das liest sich wie ein Auszug des „Who Is Who“ der bremischen Politik: In den letzten Jahren haben für den Finanzsenator die Herren Quantmeyer und Meyer-Arndt im Kuratorium gesessen. Karl-Joachim Quantmeyer stieg nach seiner Tätigkeit beim Senator für Finanzen zum Präsidenten des Rechnungshofes auf. Nach Quantmeyer wurde Hartwin Meyer-Arndt sein Nachfolger. Für das Justizressort hat dessen Ex-Senator Volker Kröning persönlich das ZERP kontrolliert. „Für den Bildungssenator war Herr Doktor Hoffmann immer dabei. Davon können Sie ausgehen“, sagte Manfred Rupert. Reinhard Hoffmann war Staatsrat unter Senator Franke, und er ist es noch unter Henning Scherf.

Peter L. ist den „Bremer Verhältnissen“ mit seinen 400.000 Mark und einem blauen Auge entkommen. Das Gericht glaubte ihm seine Spielsucht, die ihn immer tiefer in die Kasse greifen ließ. Drei Jahre muß er sich bewähren und insgesamt 3.000 Mark für einen guten Zweck spenden. Jochen Grabler