Libyen-Embargo beendet die Golfkriegsallianz

■ Die ersten libyschen Diplomaten erhielten gestern ihre Ausweisungsschreiben. In der arabischen Welt gilt Resolution 748 als Komplott des "Westens": Vor dem Hintergrund der Entscheidung...

Libyen-Embargo beendet die Golfkriegsallianz Die ersten libyschen Diplomaten erhielten gestern ihre Ausweisungsschreiben. In der arabischen Welt gilt Resolution 748 als Komplott des „Westens“: Vor dem Hintergrund der Entscheidung revidiert so mancher arabische Politiker gar seine antiirakische Position.

Seit gestern früh 06.00 Uhr ist es soweit: das Ultimatum, das der Weltsicherheitsrat Libyen zur Auslieferung zweier Männer gestellt hatte, die den Anschlag auf die 1988 über dem britischen Lockerbie abgestürzte PanAm-Maschine verübt haben sollen, ist abgelaufen. Damit sind sämtliche Waffenlieferungen nach Libyen gesperrt, Fluggesellschaften stellen ihre Flugbewegungen von und nach Tripolis ein, und die Mitgliedstaaten sind angehalten, die diplomatischen Vertretungen Libyens in ihren Hauptstädten zu reduzieren.

Die „last minute“-Diplomatie der Arabischen Liga ist damit gescheitert. Wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums hatte Marokko im Namen der Arabischen Liga noch als Kompromißlösung auf Verschiebung plädiert — mit der Begründung, in der Zwischenzeit prüfen zu wollen, ob die beiden Männer nach Malta ausgeliefert werden könnten. Am Dienstag nachmittag hatte sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag kurzerhand als „nicht zuständig“ erklärt. Wenige Stunden darauf war es für den UN-Sicherheitsrat in New York dann einfach, das Embargo zu verhängen. Britische und US-Diplomaten hatten ohnehin bereits vor dem Urteil des Gerichtshofes erklärt, daß sie eine eventuelle Entscheidung zugunsten Libyens ohnehin nicht akzeptieren würden. Der libysche Vertreter im Internationalen Gerichtshof reagierte daraufhin schroff: „Wenn gegen diese Unrechtsentscheidung kein Einspruch erhoben wird, wird sie zu einer Richtlinie für die Welt werden. Der Wille einer Großmacht beherrscht dann alles“, ließ er nach der Entscheidung verlauten.

In der arabischen Welt wächst inzwischen die Empörung über das westliche Vorgehen. Das zur Krisenlösung eingesetzte „Siebener-Komitee“ der Arabischen Liga im ägyptischen Kairo wartete tagelang auf eine offizielle Antwort der UNO auf die Vorschläge Libyens, die mutmaßlichen Attentäter an ein neutrales Land auszuliefern, die bereits mehrere Tage vor Ablauf des Ultimatums präsentiert worden waren.

Im Gegensatz zu den Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats im Verlaufe des zweiten Golfkriegs, mit der Entscheidung militärisch gegen den Irak vorzugehen, finden die neuesten Entscheidungen in Sachen Libyen keinerlei Zustimmung in der arabischen Welt. In den Golfstaaten wird dazu geschwiegen, das prowestliche Ägypten nimmt diesmal keine Vermittlungsrolle ein. In der Vorkriegszeit übernahm das Land die Position des Westens und versuchte, Saddam Hussein die Besetzung Kuwaits auszureden. Im Falle der Auslieferung der beiden Libyer fährt Mubarak eine andere Linie. „Libyen muß selbst entscheiden“, ließ er am Montag nach seiner Rückkehr aus Tripolis verlauten. Betrachtet man die Situation Ägyptens, das vollständig von US-Wirtschaftshilfe abhängt, ist das die deutlichste Verweigerungshaltung, die Mubarak einnehmen kann.

Die ägyptische Bevölkerung zeigt derweil eine andere Art der Solidarität mit dem westlichen Nachbarn. Die ägyptischen Grenzposten vermelden seit der Abfassung der UN- Resolution eine vermehrte Reisebewegung in Richtung Libyen. Mehr als 1.000 Ägypter überquerten in den letzten Tagen täglich die Grenze auf dem Landweg. Für die meisten Araber läßt sich der Fall Irak mit dem Libyens nicht vergleichen. Im ersteren Fall sei ein arabisches Land vom Irak besetzt worden; im Falle Libyens geht es nun um die Auslieferung zweier Araber an den Westen. „Sie sollen ausgeliefert werden, ohne daß ihre Schuld bewiesen ist— einfach nur, um vernommen zu werden“, sagt ein ägyptischer Politologe verärgert. „Daß Gaddafi sich wesentlich flexibler zeigt als Saddam Hussein, nützt ihm überhaupt nichts“, erklärt er. Das zeige seiner Meinung nach, daß es den USA in Wirklichkeit gar nicht um diese beiden Männer gehe.

Auch die Härte der UN-Resolution wird in Frage gestellt. Kapitel 7 der UN-Charta, auf dem die Entscheidung gegen Libyen beruht, ist hier falsch angewendet, meint Mufid Schahab, der Vorsitzende des Komitees für arabische und auswärtige Angelegenheiten im ägyptischen Parlament. Kapitel 7 macht Zwangsmaßnahmen gegen den Staat erforderlich, gegen die die Resolution gefällt wurde. Es soll dann angewendet werden, wenn eine Aggression oder eine Bedrohung des Friedens und der Sicherheit vorliegt. Für Schahab handelt es sich in der gegenwärtigen Krise aber nicht um einen derartigen Fall. Es hätte seiner Meinung nach völlig ausgereicht, wenn die Resolution auf Grundlage des Kapitel 6 der UN-Charta beschlossen worden wäre. Damit wäre der UN-Sicherheitsrat aufgefordert gewesen, alles Notwendige zur Durchsetzung der Resolution zu unternehmen.

Vor dem Hintergrund der neuen Entscheidungen des Sicherheitsrats werden in der arabischen Welt auch dessen damalige Entscheidungen gegen den Irak einer Revision unterzogen. „Sicherheitsrat“ ist hier inzwischen gleichbedeutend mit „Westen“. „Damals ging es ihnen nicht um die Befreiung Kuwaits, sondern um die Zerstörung Iraks. Heute geht es um die Ausschaltung Libyens als einem der Zentren des Arabischen Nationalismus. Morgen ist Syrien dran, weil es in den Nahost-Verhandlungen am konsequentesten auftritt.“ Auch von offizieller arabischer Seite läßt sich ähnliches vernehmen. „Wir werden nicht zulassen, daß mit Libyen das Gleiche passiert wie mit dem Irak“, erklärte der marokkanische Parlamentspräsident Ahmad Osman dieser Tage. Er steht dem Parlament eines Landes vor, das sich noch vor einem Jahr in die „Anti-Irak-Front“ eingereiht hat.

Daß Politiker in den USA und Großbritannien seit Wochen von einem möglichen neuen militärischen Schlag gegen den Irak sprechen, falls dieser die Waffenstillstands-Bedingungen nicht erfülle, trägt zu dieser Revision bei. Keiner der ehemaligen arabischen Verbündeten der USA würde einen solchen Schritt unterstützen. Karim El-Gawhary, Kairo