Wer singt, sollte den Text können

■ Ganz Berlin in einer Taxe (11): Manches Gespräch besteht nur noch aus Sprüchen

Die Tür wird aufgerissen. Sie sind ja wohl frei? Dann bewegen wir uns mal schnell nach Potsdam zum Umweltbundesamt. Den Weg kann ich Ihnen zeigen, es ist ja leider nicht das erste Mal, daß ich zu denen muß. Mein Auto streikt heute, entsetzlich so was, mein Auto ist mein Büro, müssen Sie wissen, und ohne Büro bin ich nur ein halber Mensch.

Was meinen Sie, schaffen wir's bis neun Uhr? Sie können dann gleich auf mich warten, dauert höchstens 'ne halbe Stunde. Da müssen die heute mal was schneller überlegen, wenn's denen so schwerfällt, weil sie sich ja immer erst mal ideologisch festquatschen. Schnell hören, schnell begreifen, schnell handeln, sage ich immer! Ja, ja, ständig auf Achse, ständig im Streß, das haben Sie richtig erkannt, nicht umsonst heißt es so schön: Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben! Und das kennen Sie doch auch, dann hätten Sie nämlich an jeder Ampel Rot. So, jetzt nur noch geradeaus, an der dritten Ampel rechts und dann wieder die zweite rechts. Sehen Sie, hier ist es, ich springe schon mal raus, bin spätestens in 'ner halben Stunde zurück.

Exakt drei Minuten später: Uff, das hätte ich geschafft. Mein Gott, mein Gott, haben Sie mal 'ne Zigarette für mich? Denen mußte ich erst mal die Leviten lesen. Bei jeder Kleinigkeit wollen die einem Steine in den Weg legen und kennen die rechtlichen Grundlagen noch nicht mal. Hätte denen haufenweise Tips geben können! Meine Herren, habe ich gesagt, meine lieben Damen und Herren, wer singt, sollte wenigstens den Text können! Da waren sie erst mal stille.

Aber es ist doch wahr (ja, ja zurück nach Berlin), die spulen sich da auf und haben keine Ahnung. Die ganzen alten Seilschaften hocken da zusammen, wollen nur boykottieren, alles PDS und Bündnis 90, wenn die wirklich Interesse hätten, daß wir ihre Wirtschaft ankurbeln, könnten sie wohl zumindest auf ein paar verwelkte Büsche in der Landschaft verzichten. Keine Fabrik kann wegen ein bißchen Unkraut um die Ecken bauen! Wenn unsere Eltern beim Aufbau solche Vorstellungen gehabt hätten, könnten wir heute alle einpacken oder Ziegen hüten.

Ob ich ein Haus und Garten besitze? Natürlich, das braucht man doch, wenn man so hart arbeitet wie unsereins. Ohne Fleiß kein Preis, sage ich immer. Wenn ich am Wochenende nach Hause fahre, blüht vielleicht schon der Kirschbaum. Und wenn ich den dann so anschaue mit meinen spielenden Kindern darunter, kann ich alles vergessen für einen Moment.

Wie bitte, ob das Privatleben noch funktioniert? Aber natürlich, da habe ich keine Probleme mit. Gott sei Dank ist meine Frau genauso eingespannt wie ich, sie ist Geschäftsführerin in der Firma, und vieles regeln wir über Autotelefon. Die Kinder? Na, besser können die es doch gar nicht haben, die werden wochentags von den Großeltern betreut und das rund um die Uhr. Ist immer jemand da, ich mußte früher zusehen, wo ich bleibe. Erziehungsvorstellungen haben wir sowieso dieselben, und die Alten haben wieder eine Aufgabe. Wer rastet, rostet, sage ich immer. Alles prima gelöst. Und wenn sie ab und zu mit übertriebenen Ansprüchen kommen, brauche ich nur zu sagen: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert! Dann wissen sie, daß Betteln zwecklos ist.

Oh, wir sind schon da? Das ging aber schnell, habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging. Was macht's? 124,20 Mark? Schreiben Sie bitte eine Quittung über 130 Mark, weil sie so lange gewartet haben und nicht mit dem Hunderter Anzahlung in Potsdam verschwunden sind. Aber, ehrlich gesagt, weit wären Sie damit sowieso nicht gekommen, ich hatte mir natürlich Ihre Konzessionsnummer gemerkt. Kein direktes Mißtrauen, wissen Sie, aber Vorsicht ist die Mutter in der Porzellankiste, sage ich immer! Barbara Freisleben