■ TAZ UND JUSTIZ FEIERN GEMEINSAM FÜNFTEN JAHRESTAG IM KANNIBALISMUS-STREIT
: "Menschen essen Menschen"

„Menschen essen Menschen“

„Gourmands und Gourmets. Gut abgehangen am Kreuz ist er allgegenwärtig. Zum Osterfest einige Tips, was etwas kultivierte Küchen daraus machen würden.“

Es gibt Jubiläen, die feiert man nicht: z.B. den fünften Jahrestag eines Strafverfahrens gegen die presserechtlich verantwortliche Redakteurin der taz-Osterausgabe vom 18.April 1987. Neben den Zeichnungen der international renommierten Elisabeth Kmölninger veröffentlichte die taz einen wissenschaftlichen, aus eurozentristisch- überheblicher Sicht geschriebenen Text über Kannibalismus, der in den siebziger Jahren im „Fischer Verlag“ unter dem Titel Menschen essen Menschen erschienen war — ohne daß sich die Justiz damals für diesen Text interessiert hätte. Die Staatsanwaltschaft Berlin wähnte hinter dem Autor einen „nicht identifizierbaren Christian Röthlingshöfer-Spiel, bei dem es sich vermutlich um ein Pseudonym handelt“, und sah in Artikel und Zeichnung eine strafbare Beschimpfung der christlichen Lehren und Gebräuche und einen „Angriff auf den tragenden Grundsatz der christlichen Glaubenslehre“.

Nach einer mehrere Tage währenden Verhandlung sprach das Amtsgericht Tiergarten die taz-Redakteurin frei. Vorher hatte es sich auf Antrag der Verteidigung den katholischen Kathechismus anhören müssen: „Sein Leib und Blut (das des Jesus Christus) ist im Sakrament des Altares unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten...“ und „... durch die Weihe von Brot und Wein vollzieht sich die Wandlung der Brotsubstanz in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Weinsubstanz in die Substanz seines Blutes.“ Es erfuhr von der Verteidigung, daß im Mittelalter Kirchenleute auf dem Scheiterhaufen endeten, die bestritten, daß beim heiligen Abendmahl wahrhaft Leib und Blut Christi verzehrt wurden. Es erfuhr auch, daß der Dom von Orvieto entstanden ist, nachdem während einer Messe, die ein Prager Priester an dieser Stelle zelebrierte, plötzlich Blut aus der Oblate troff, und daß heute in dem Dom noch das blutbefleckte Tuch ausgestellt wird. Es mußte sich das GedichtRomancero von Heinrich Heine anhören, in dem die von den Spaniern im Namen des Gottes der Christen ausgeplünderten Ureinwohner Mittelamerikas zitiert werden.

„Auf des Altars Stufen kauern auch die Tempelmusici... es stimmen ein des Chores mexikanisches Te-Deum, ein Miaulen wie von Katzen... wenn der Nachtwind diese Töne hinwirft... wird den Spaniern... katzenjämmerlich zu Mute... und des Blitzliputzli-Tempels helle Plattform ist die Bühne, wo zur Siegesfeier jetzt ein Mysterium tragiert wird. Menschenopfer heißt das Stück, uralt ist der Stoff, die Fabel; in der christlichen Behandlung ist das Schauspiel nicht so gräßlich. Denn dem Blute wurde Rotwein, und dem Leichnam, welcher vorkam, wurde eine harmlos dünne Mehlbreispeiss transsubstituieret.“

Das Gericht fand schon am 12.Juli 1988, daß die inkriminierte Seite nicht strafbar ist: Nicht jede herabsetzende Äußerung stelle eine Beschimpfung im Sinne des Gesetzes dar, sondern nur besonders verletzende Äußerungen. Im vorliegenden Fall handele es sich erkennbar um Satire und deshalb genieße die taz den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Der Staatsanwalt (er hatte den Geldwert von 70 Lebenstagen als angemessene Sühne für die Tat gefordert) war's nicht zufrieden und ging in Berufung: Der Artikel „besitzt Schmähcharakter aus der Sicht des unbefangenen, objektiven und neutralen Lesers“, so ist in seiner Berufungsrechtfertigung zu lesen. Das Verfahren wurde dann zunächst eingestellt wegen der angeblich geringen Schuld der Angeklagten — ohne sie zu fragen und ohne ihre Zustimmung. Dann kam das Jahr 1989, und mit ihm ein rotgrüner Senat an die Macht. Seine Justizsenatorin, die einst für liberal gehaltene Professorin Limbach, inthronisierte sich mit einem Bekenntnnis dazu, Verfahren wegen Bagatelldelikten mit politischem Hintergrund wie Meinungsäußerungen, Demonstrationen etc. zu beenden und die Justiz auf wichtigere Aufgaben zu beschränken. Auf wundersame Weise aber gelang es der Staatsanwaltschaft, das zunächst eingestellte Verfahren jetzt — nach nahezu fünf Jahren — wieder aufzunehmen. Die Justizsenatorin, die das Ende der rotgrünen Regierung überdauert hat und sich seither als Lautsprecherin der Justizbehörden versteht, die die Regierungskriminellen der ehemaligen DDR verfolgen, lehnt jede Einflußnahme auf die Staatsanwaltschaft zur Beendigung des bösen Spiels ab, da sie „grundsätzlich nicht in Ermessensentscheidungen der an Recht und Gesetz gebundenen Staatsanwaltschaft eingreife“. Nun wird also — ein Termin steht noch nicht fest — die vorgeblich so überlastete Justiz mit drei ausgewachsenen Volljuristen, zwei Schöffen, einem Oberstaatsanwalt und der Angeklagten erneut der schwierigen Frage nachgehen, was Satire in einem Rechtsstaat darf. Sie werden die Frage kaum abschließend beantworten können, denn — dem Ende der Nachkriegsära in Berlin sei Dank — das Bundesverfassungsgericht ist nun auch für die Kontrolle Berliner Rechtsprechung zuständig. Es wird wohl das letzte Wort behalten: Auf daß wir auch das zehnjährige Jubiläum des gemeinsamen Kampfes von Justiz und taz in diesem Falle werden erleben dürfen. Jony Eisenberg