Im Angesicht des Bruderkriegs

■ Mit Nadschibullahs Sturz ist der Heilige Krieg am Hindukusch vorbei, nach aber das Urteil

Im Angesicht des Bruderkriegs Mit Nadschibullahs Sturz ist der Heilige Krieg am Hindukusch vorbei, nicht aber das Unheil

Der letzte Mohikaner hat die Flinte ins Korn geworfen. Doktor Muhammad Nadschibullah, Satrap des einstigen Sowjetreiches am Hindukusch, versuchte bis zuletzt das „Erbe des Sozialismus“ zu retten, obwohl seine Herren in Moskau längst Abstand von Lenin genommen hatten. Der „Bulle“, wie das Volk seinen stiernackigen Präsidenten nannte, verstand sich als Bollwerk einer „fortschrittlichen Zukunft“ gegen die „dunklen Mächte der Vergangenheit“.

Nun hat der 45jährige Sohn eines paschtunen Khan von dem Edelgeschlecht Ahmadzoi das Handtuch geworfen — zum Leid aller Staatskanzleien in West und Ost. Denn die Amerikaner wie die Russen, die Pakistani wie die Iraner wollten, daß der Machtwechsel in dem mittelasiatischen Bergland in geordneten Bahnen vonstatten geht, auf daß die Fundamentalisten in Kabul nicht einmarschieren. Die unter der Schirmherrschaft der UNO für Mai vorgesehene Afghanistan-Konferenz sollte eine für alle Parteien annehmbare Alternative zum Nadschibullah-Regiment finden. Auch er hatte seine Bereitschaft bekundet, zurückzutreten, sobald eine Interimsregierung für Versöhnung und Frieden Sorge tragen würde. Was bewog ihn zu diesem übereilten Machtverzicht? War es die Eroberung von Begram, des wichtigsten Luftwaffenstützpunktes vor den Toren Kabuls durch muslimische Rebellen. Oder war es die Palastrevolution afghanischer Generäle, welche jetzt die Macht in der Hauptstadt innehaben. Beides spielt wohl eine Rolle: die afghanischen Offiziere opferten den Herren von „Kabulistan“, um ihre eigene Haut wie auch die Hauptstadt vor der frommen Rache der anrückenden muslimischen Heerscharen zu retten. Der Heilige Krieg am Hindukusch ist zu Ende, doch nicht das Unheil. Der muslimische Bruderkampf um die Herrschaft steht noch bevor. Schon jetzt, in der Stunde des Triumphes, streiten sich die beiden mächtigsten Rebellengruppen, die überwiegend aus Tadschiken bestehende Dschamiati- Islami und die paschtunisch geprägten Hisb-i-Islami, um die Beute. Jede dieser Parteien nimmt für sich in Anspruch, Sieger von Begram und somit Bezwinger Nadschibullahs zu sein. Konsens war nie eine afghanische Tugend. „Wenn drei Afghanen sich einig sind“, lautet ein paschtunisches Sprichwort, „sind zwei von ihnen sicher keine Afghanen.“ Tausendfach wurde muslimisches Blut im afghanischen Krieg von muslimischer Hand vergossen. Doch die bekannten Zwistigkeiten der afghanischen Mudschaheddin-Führer liegen nicht in ihren persönlichen Untugenden, sie sind Ausdruck der Zerrissenheit des Landes selbst, das seit Jahrhunderten in die religiösen Richtungen der Sunniten, Schiiten und Ismaeliten sowie in die Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hizara und zehn zweitere Ethnien gespalten ist. Daß ausgerechnet Afghanen zu Zeiten weltweiten nationalen Wahns sich in Eintracht üben, ist mehr als fraglich. Vierzehn Jahre lang haben die nahen und fernen Mächte das Leid und die Leidenschaften der Afghanen für die eigenen Zwecke benutzt und das Land mit Waffen und Ideologien beliefert. Fazit: eine Million Tote, zwei Millionen Schwerverwundete, fünf Millionen Flüchtlinge und eine Unzahl von zerstörten Städten und Dörfern. Das afghanische Hochland ist heute eine einziges, riesiges Zeughaus. Wahrlich ist einstweilen die mit Minen besäte afghanische Erde für die Blumen des Friedens nicht gedeihlich. Ahmad Taheri

Der Autor lebt als Publizist in Frankfurt/Main.