Für einen guten Fick genügt bereits ein Blick

■ Zu Ostern trafen sich Lederschwule aus Europa und den USA in Berlin/ Von der S/M-Party zum Kaffeeklatsch bei Charlotte von Mahlsdorf/ Daß zum dritten Geschlecht nicht nur affektierte Tunten zählen, bringt das heterosexuelle Weltbild durcheinander/ Der Skinhead als Sexualobjekt

Berlin. Spätestens nach der Premiere des Films Tom of Finland: Daddy and the Muscle-Academy können sich auch Heteros unter einem schwulen Lederkerl etwas vorstellen: in erster Linie aufgeblasene Männlichkeit. Der Leder-Schwule an sich ist eine Mischung aus muskelbepacktem Holzfäller und schlagkräftigem EbLT-Rambo, obenrum ein kruppstahlhartes Gesicht mit Schnauzer und Lederkäppi, untenrum zwei Arschbacken wie Bowlingkugeln und einem Schwanz gleich einem Baseballschläger. Auch wenn das Ideal nicht immer erreicht wird, erblaßt beim Anblick eines Lederkerls so mancher Frauenheld vor Neid. Daß zum sogenannten dritten Geschlecht nicht nur affektierte Tunten und blondierte Discohuschen zählen, kann das heterosexuelle Weltbild schon mal durcheinanderbringen.

Nicht vergleichbar mit dem FDJ-Pfingsttreffen

Am letzten Wochenende stiefelten rund 500 Lederschwule aus Europa und den USA nach Berlin. Auf Einladung des schwulen Lederklubs »Motor, Sport und Contacte e.V.« konnten sich die Kerle von Gründonnerstag bis Ostermontag unter dem Motto »Hauptstadtgeflüster« rund um die Uhr in den einschlägigen Lokalen amüsieren.

Taschentücher künden von sexuellen Vorlieben

Das Ostertreffen der Lederschwulen läßt sich nicht ohne weiteres mit dem Pfingsttreffen der FDJ vergleichen. Das Hauptziel der Männer in den schwarzen Uniformen liegt weniger in politischen Diskussionen als im ausgiebigen Geschlechtsverkehr. So bunt wie die Ostereier in den guten Stuben, so bunt sind nämlich auch ihre Tücher, die sie sich um den Hals knoten oder keck in den hinteren Hosentaschen arrangieren.

Je nach Farbe symbolisieren die Stoffetzen sexuelle Vorlieben, ebenso Stecknadelköpfe, Brillen, Kugelschreiber oder an den Schulterklappen montierte Cockringe. Für Blasen und Dildo-Sex stehen beispielsweise die klassischen Babyfarben hellblau und rosa, ein dunkelrotes Tuch zeigt den Wunsch nach Faustfick mit zwei Fäusten an. Läßt ein Lederkerl den Stoff aus der rechten Hosentasche baumeln, mag er's gern passiv, links bedeutet aktiv. Hetero-Männer, die zur Anmache stets gepflegte Konversation betreiben müssen, werden da zum zweiten Male blaß: Bei den Lederschwulen genügt für den guten Fick ein einziger Blick.

Allerdings scheint Lederliebe durch den Magen zu gehen. Das Programm des Ostertreffens ließ sich ebensogut als Speisekarte lesen. Um den besten Eintopf konkurrierten zur Eröffnung die Knast-Bar mit Erbsensuppe und Toms Bar mit Kartoffelsuppe. Jede andere Lederkneipe ließ es sich nicht nehmen, wenigstens an einem Tag zum Brunch zu laden. Selbst vor der klassischen S/M-Party im New Action hatten die Lederkerle noch Gelegenheit, sich bei DDR- Transe Charlotte von Mahlsdorf mit Käffchen und Zitronenröllchen zu stärken.

In jedem Lederkerl steckt eine Tunte

Spätestens beim »Ostereierschaukeln«, das ebenfalls in Charlottes Gründerzeitmuseum stattfand, fragte man sich, was den Lederschwulen eigentlich vom gewöhnlichen Homosexuellen unterscheidet. Da saßen die schwarzen Kerle inmitten von restaurierten Gründerzeitmöbeln, nippten am Eierlikör und suchten unter Charlottens Rock nach Ostereiern. Als einige Lederkerle am Sonntag bei einer Rundfahrt im historischen S-Bahn-Zug immer wieder »Huch« kreischten, wenn der Zug über eine Weiche ratterte, merkte sogar das Reichsbahnpersonal, daß im Lederkerl auch eine Tunte steckt.

So sind Lederschwule auch nur dann mutig, wenn sie in einer fremden Stadt einen draufmachen und sich vorher einige Promille gönnten. Dann aber dreht sich das klassische Opfer-Täter-Schema schon mal um: Während einer S-Bahn-Fahrt machten am Samstag abend zwei Münchner Lederkerle einen jungen Skinhead an — was hatte der für geile Stiefel, hautenge Jeans und eine knackige Figur. Doch während die beiden noch disputierten, wer ihn sich im Hotelzimmer als erster »vornehmen« solle, stolperte der Skin aus dem einfahrenden Zug auf den Bahnsteig hinaus und rannte davon. Tja, hätte er sich bloß ein weißes Tuch in die Hosentasche gesteckt. In der Lederszene heißt das soviel wie: »Laß mich in Frieden«. Micha Schulze