EUROFACETTEN
: Modell „Alt-Heidelberg“

■ Die deutschen Unis brauchen ein neues Selbstverständnis

Once upon a time pflegte man am Neckar zu studieren. Mit dem Rad fuhr man im Anzug ins „Kolleg“, wo ein etwas schrulliger, aber charismatischer Professor „las“. Dort nahm man Platz auf einer Bank zwischen Studenten, die gleich angezogen und gleich alt waren und auch in etwa das Gleiche dachten. Man wohnte bei einer „Frau Wirtin“, die einer dicken Mama glich und suchte Herrn Professor privat auf. Dieser fällte Urteile wie ein Vater. War man dann, nach demütigenden Examina, ins Berufsleben — diplomatischer Dienst oder eigener Lehrstuhl — entlassen, konnte man noch jahrzehntelang Anekdoten über die Studienzeit erfinden.

So war das damals, und so sollte es auch immer sein, denken die in Ehren ergrauten Kommilitonen. Ein Blick auf den Fernsehschirm jedoch zeigt ihnen: Massen nicht mehr ganz junger Studenten, die auf dem Boden hocken, kein Latein können und immerfort Coca Cola trinken. Das ist nicht mehr die Universität von einst, hoffentlich auch nicht die der Zukunft — soweit herrscht Einigkeit.

Ansonsten aber macht sich in der Diskussion um die „Bildungskatastrophe“ Ratlosigkeit breit. Auf die Frage der „überalterten“ Absolventen konzentrieren sich nun jene Politiker, die durch weitsichtige Sozialpolitik gezielt den Trend zur studentischen Arbeitstätigkeit während des Semesters fördern. Sogar die uralte Kritik an der mangelnden Qualität des Abiturs wird verstärkt rezipiert. In der Tat wären mit der Einführung eines Hauptfaches Altgriechisch bis zur 13.Klasse alle Probleme auf einen Schlag gelöst. Doch solche Versuche dienen nur dazu, von einer umfassenderen Diskussion um Qualitäten und Funktionen der Universitäten abzulenken.

Schon in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden, und somit auch in ihren spezifischen Einstellungen zum Studium, hat in den letzten zehn Jahren eine unumkehrbare Differenzierung stattgefunden. Diese entspricht nicht zuletzt einem gesellschaftlichen Wandel in Bereichen, die einst ebenso unwandelbar schienen wie die Folge von Sommer- und Wintersemester: Familienformen, Berufsalltag, Arbeitsmarkt. Bislang haben die Universitäten auf den Zuwachs an Studierenden und den Schwund traditioneller Gewißheiten mit der Anhäufung formaler Leistungsnachweise in den Studiengängen und einer absurden Zählerei von Publikationen in der Forschung reagiert.

Die Universitäten müssen ihr Selbstverständnis ändern. Sie müßten etwa ihr Personal stärker spezialisieren, selbstverständlich mit Arbeitsämtern, Unternehmern und Gewerkschaften zusammenarbeiten und eine breite Palette von Abschlüssen — nach dem vierten wie auch dem vierzigsten Semester — sowie entrümpelten Curricula entwickeln. Gelingt es den deutschen Universitäten nicht, sich auf die veränderten Erwartungen der Gesellschaft einzulassen, wird ihre Angleichung an Euro-Disney perfekt: Überfüllt, überteuert, überflüssig. Nils Minkmar

Der Autor lehrt Geschichte an der Universität Saarbrücken.