Polens Profs zieht's in die Wirtschaft

Das Sparprogramm trifft die Universitäten hart/ Nach dem Feierabend wird der Lohn aufgebessert  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Piotr M. ist Professor für Geschichte, hat jahrelang studiert, promoviert und habilitiert. Heute verfügt er über eine enge Zweizimmerwohnung in Warschau, einen wackeligen Polski Fiat und eine mittelgroße Fachbibliothek. Sein Monatseinkommen beträgt ein paar hundert Mark, in die Ferien fährt er an die polnische Küste. Manchmal trifft Piotr seinen alten Studienfreund Antoni. Der betreibt Geschichtsforschung allenfalls noch als Hobby. Statt dessen hat er seinen zweiten Studiengang Jura ausgebaut und ist heute Rechtsberater einer Privatfirma, sitzt im zehnten Stock eines Bürohochhauses, verdient das Zwanzigfache seines Kollegen und fährt im Sommer nach Kreta zum Sonnenbaden. Piotr dagegen fragt sich, wie lange er noch Arbeit haben wird, denn wie allen polnischen Unis drohen auch der seinen drastische Einsparungen und Entlassungen.

Angesichts dieser Verhältnisse sind sowohl die Möglichkeiten, Polens Hochschulsystem zu reformieren, als auch die Hochschulen von der alten kommunistischen Nomenklatura zu säubern, recht eingeschränkt. Professoren und Dozenten gehen immer öfter freiwillig — in die Privatwirtschaft, wo wesentlich bessere Gehälter locken. Eine Stasi-Debatte an den Hochschulen dagegen gibt es in Polen schon deshalb nicht, weil die Akten nie offengelegt wurden — und das nicht nur an den Hochschulen.

Von den angeforderten 300 Milliarden Zloty (rund 27 Millionen US- Dollar) Subventionen erhielten Polens Hochschulen so für das laufende Jahr nur 68 Milliarden, nicht einmal ein Viertel. Im letzten Jahr lagen die Durchschnittseinkommen an den Hochschulen gerade zwölf Prozent über dem landesweiten Durchschnitt. Das Wissenschaftsministerium hat sich daher bei seinen Reformbemühungen vor allem auf eine „Kommerzialisierung“ beschränkt. Das Studium soll mehr auf das Berufsleben ausgerichtet werden. So gibt es künftig Berufsstudiengänge, Magisterstudiengänge und dreijährige Colleges — und es soll bezahlt werden. Da nach der derzeitigen Verfassung Bildung kostenlos ist, werden Studiengebühren bisher allerdings nur von Wiederholern, extern Studierenden, Abendstudenten und Postgraduierten erhoben.

Insgeheim hat die so angekündigte Kommerzialisierung an den Hochschulen aber schon lange eingesetzt: Wer nicht in die Privatwirtschaft abwandert, macht nach Feierabend noch „privat“ Überstunden. Sprachwissenschaftler verdienen in Privatschulen und mit Sprachkursen dazu. Juristen schreiben Gutachten für Firmen, Chemiker forschen für die Industrie. Schlechter dran sind da vor allem die Geisteswissenschaftler — sie werden in der Wirtschaft nicht gebraucht.