Die ungute Meßlatte

■ betr.: "Grüner Weg im Schwarzen Land", taz vom 13.4.92

betr.: Grüner Weg im Schwarzen Land“ von Joachim Raschke,

taz vom 13.4.92

[...] Kann man über die Grünen praktisch alles wissen, ohne wahrzunehmen, wer sie sind?

Bringt man es einmal fertig, von dem „wissenschaftlich fundierten“ apokalyptischen Schluß nicht eingeschüchtert zu werden, dann treibt einen der Stilwechsel und der Schluß Raschkes in ein sich vergrößerndes Staunen hinein.

Wieso verwandelt sich Raschkes sonst behutsamer Diskurs „strategischer Empfehlungen“ in ein Pochen auf „grüne Identität“, in einen Belehrungsdiskurs mit „Kontaktsperre“- Forderungen? Wieso kann er, gerade die politische Problematik in Baden- Württemberg ansprechend, ausblenden, daß es auch ein konstitutiver Maßstab einer jeden sich historisch verstehenden grünen Politik war und ist, pragmatische Politik mit dem Druck abzuwägen, die sie auf die Gesamtheit des „Parteisystems“ (und nicht bloß auf den links-ökologischen Rand der SPD) implizit und explizit ausübt? Wieso kann er es nicht merken, daß nur dieses Abwägen grüne Politik dazu de facto fähig machte und macht, potentiell alle BürgerInnen (und nicht nur die Raschkeschen „Potentiale des Ökoprotestes“ oder gar fixe Klientelgruppen) anzusprechen? Wieso meint er die gar nicht spielerischen Worte der Grünen in Stuttgart (nämlich daß die fragliche Koalition nur dann in den Bereich des Möglichen kommt, wenn in der CDU ein Ruck zustande kommt, und Tendenzen, die sie unmöglich machen würden, zurücktreten) in ein simples „die Grünen wollen die Koalition“ umdeuten zu dürfen?

Ist es denn möglich, fragt man sich erstaunt, daß Achim Raschke praktisch alles über die Grünen weiß, ohne wahrzunehmen, wer sie sind?

Ich hoffe, daß Achim Raschke, und andere mit ihm, diese Frage nicht in jenem anmaßenden Tonfall hören, mit dem sie ja auch gefragt werden könnte. Es geht nicht um eine „höhere Identität“ der Grünen, die nur Eingeweihten (oder durch die richtige ideologische Brille) zugänglich wäre.

Es geht in dieser Frage um das „Wer sind die Grünen?“ (oder auch: „aus welchem politischen Platz her sprechen Sie?“), um etwas viel Einfacheres. Um das, was hier im Spiel ist deutlicher zu machen, machen wir eine kleine Probe aufs Exempel:

In der objektiven und wissenschaftlichen Kartographierung des „Parteiensystems“ und seiner aktuellen Lage, mit dem Raschkes Artikel anfängt, sind die Grünen eine der „kleineren Flügelparteien“ oder auch der „Korrekturparteien an der Peripherie“. (Diese Sicht der Dinge fällt übrigens mit der formal ausgewogenen Sichtweise von Teilen der CSU zusammen, in der Grüne und Republikaner, auch aus einer objektiven Mitte aus gesehen, als letztlich gleichartige Extreme erscheinen.) Auch diese Parteien „rationalisieren“, wie Raschke schreibt, den, scheinbar eher „irrational“ vorliegenden „Öko- und Sozialprotest“. Stellen wir uns nun die einfache Frage: Konnte bei den Grünen je irgend jemand von einiger politischer Wahrnehmung und Bedeutung an die BürgerInnen von jenem Randplatz her sprechen, den die politologische Analyse (nicht nur Raschkes) — natürlich wie immer streng namenlos, wie in der Frage stehender Artikel — ihnen objektiv zuweist? Und der, wohlgemerkt, der Ausgangspunkt der „rationalen Strategie“ sein soll, der zum apokalyptischen Schluß führt?

Wir können auch noch die Frage hinzufügen: Wären die Grünen je entstanden, wenn die, die sie „gründen“ wollten, sich jene Wahrnehmungsweise des Politischen zugeeignet hätten, in der Achim Raschke sich gerade dann am meisten verfängt, wenn er, auf sie gestützt, der „erwägenden“ Politik der Grünen (siehe oben) strategisch-logisch in die Parade fahren will? An all dem wird sichtbar: wie es vielleicht am deutlichsten Leo Strauss, der unbestechliche (und in fortschrittlich-angepaßten Akademikerkreisen der USA lange Zeit meistgehaßte) deutsch-jüdische Denker des Politischen es schon vor längerer Zeit „klargestellt“ hat, gründet die „moderne Politikwissenschaft“ keinesfalls in „politischer Erfahrung“ und kann sich eigentlich nie an den politischen Bürger selbst wenden.

Das hier besprochene Beispiel zeigt aber auch: je mehr wir uns dem Punkt nähern, in dem es faßbar wird, daß der „Platz der Grünen“ nicht nur auf einer „Kontinuitätslinie“ der Politik der Moderne liegt, sondern auch auf einer Bruchlinie zu ihr, desto unnützer und verwirrender werden die „Anzeigen“ an der rationalistischen Instrumententafel, die auch Achim Raschke unentwegt weiter benützen will. Sein geänderter Stil weist darauf hin, daß die Stuttgarter Verhandlungen diesem Punkt nahe stehen und daß Raschke statt seiner Instrumente nun die grüne Politik korrigieren will. Zoltan Szankay,

lehrt an der Universität Bremen,

Mitglied der Grünen