Das Ende einer langgehegten Illusion

■ Die US-amerikanische Jugoslawienpolitik muß sich umorientieren: Das Projekt einer demokratisch erneuerten Föderation auf dem Balkan hat sich als unrealistisch erwiesen

Die vorösterliche, schroffe Verurteilung Serbiens als Aggressor durch den Außenminister der USA, James Baker, markiert den grundsätzlichen Wandel der amerikanischen Jugoslawienpolitik. Noch im Januar dieses Jahres weigerte sich die US-Administration, die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens seitens der EG nachzuvollziehen. In der amerikanischen Öffentlichkeit geisterte die Schreckensvision einer neuen deutschen Hegemonialpolitik auf dem Balkan, der sich die Europäische Gemeinschaft untergeordnet habe. Amerikas Diplomaten hielten zäh daran fest, daß es doch noch möglich sei, einen wenngleich lockeren Staatsverband Jugoslawien am Leben zu erhalten. Folgt man den jetzigen Erklärungsversuchen amerikanischer Experten, so lag es hauptsächlich an der begrenzten Lernfähigkeit der Bürokratie des State Department, daß der Wandel nicht schon früher eintrat. Für das Zögern der amerikanischen Politiker gibt es indes einleuchtendere Gründe.

Deren wichtigster war die konsequente Orientierung der Bundesregierung unter Ante Markovic an den Empfehlungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Markovic fuhr einen rigiden Kurs der Inflationseindämmung und trat für eine rasche Privatisierung der Produktionsmittel ein, die bis dato in „selbstverwaltetem“ Eigentum, also nach amerikanischer Auffassung herrenlos waren. Das Fortbestehen eines gemeinsamen jugoslawischen Marktes schien den USA-Produzenten ebenso günstig wie den Bankern die Existenz einer Zentralregierung für den Schuldendienst. Zu diesen praktischen Erwägungen traten historisch-ideologische. Jugoslawien war seit den Tagen des Koreakrieges trotz oder gerade wegen seiner Nichtpaktgebundenheit der amerikanischen Politik sehr nützlich gewesen — eine Waffe im Kalten Krieg. Angesichts des Ansehens, das Tito in der Welt genoß, spielte das innenpolitische Konfliktpotential in Jugoslawien für Washington keine Rolle. Das Land galt selbst dann noch als stabilisierender Faktor auf dem Balkan, als sich die Abspaltung Sloweniens abzeichnete. Schließlich spielte auch eine Rolle, daß nach der amerikanischen föderativen Tradition die Auflösung einer Union nur durch übereinstimmendes Handeln aller ihrer Teile erfolgen konnte.

Lange Zeit glaubte die USA-Administration, man könne zwischen einem demokratisch gefaßten „Jugoslawismus“ und dem großserbischen Chauvinismus differenzieren. Das Ende Ante Markovics bezeichnete auch das Ende dieser Illusion. Aber auch jetzt, nachdem das State Department Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina anerkennen will und Rest-Jugoslawien mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gedroht hat, weigert sich die amerikanische Regierung, vom endgültigen Auseinanderfallen der Föderation zu sprechen. Erst recht hütet man sich vor klaren Aussagen in der Frage von Sanktionen. Darüber zu sprechen, sei „verfrüht“. Die USA, so ein Regierungssprecher, wollen über die KSZE auf Serbien „Druck ausüben und vielleicht seine politische Isolierung herbeiführen“. Washington hat sich dem Ultimatum angeschlossen, das die EG Milosevic bis zum 29. April, dem Termin des nächsten Ministertreffens der KSZE, gesetzt hat. Bis dahin soll Serbien alle Aktionen der Bundesarmee in Bosnien unterbinden.

Fragt sich nur, ob die USA bereit sein werden, an einem Sanktionsbeschluß mitzuwirken, wenn die serbische Regierung, was zu erwarten ist, diesen Termin verstreichen lassen wird. Dabei wäre Klarheit über diesen Punkt das einzige wirksame Druckmittel gegenüber der serbischen Aggression. Denn nur die USA sind in der Lage, Rußland für eine Embargo-Resolution des Weltsicherheitsrates zu gewinnen. Die Zustimmung Jelzins wiederum ist deswegen ausschlaggebend, weil jedes Embargo ohne den Stopp der russischen Erdöllieferungen an Serbien zum Scheitern verurteilt wäre. Vor der Installation eines russisch-amerikanischen Krisenmanagements auf dem Balkan samt der damit verbundenen Verantwortung schreckt die dem „neuen Pragmatismus“ verpflichtete Politik des State Department bislang zurück. Christian Semler