Veränderte Probleme

■ betr.: "RAF bekennt sich zum eigenen Scheitern", taz vom 14.4.92

betr.: „RAF bekennt sich zum eigenen Scheitern“, taz vom 14.4.92

Ein zwangsläufiger Schritt. Wir haben es meines Erachtens mit etwas veränderten Problemen zu tun:

1.Enorme Macht der Medien beziehungsweise der sie produzierenden und hinter ihnen stehenden Industriellen und damit Durchsetzungsmöglichkeit aller politischen Vorhaben und langfristig die Aufhebung von Individualität und Eigenständigkeit der Menschen, die sich dem in Form immer perfekteren und das gesamte Leben durchdringenden Konsums kaum entziehen können, also Veränderung und Verordnung neuer gesellschaftlicher Werte (zum Beispiel Konkurrenzverhalten, Durchsetzung auf Kosten anderer als positive erstrebenswerte Werte).

2.Differenz zwischen dem wachsenden Wohlstand obere Mittel- Oberschicht und dem fallenden der unteren Schicht vergrößert sich. Daraus folgt: Bei den Wohlhabenden Tendenz zu Festhalten am Status quo und die hauptsächliche Beschäftigung mit sich selber, der eigenen Karriere und dem eigenen gesellschaftlichen Status wird immer prägnanter und mittelfristig militanter (siehe USA), die weniger Wohlhabenden werden aufgrund ihrer Situation (Arbeitslosigkeit, Süchte, Vereinsamung, faschoanfällige Minderwertigkeitsgefühle) immer labiler, seelisch und körperlich kraftloser und damit widerstandsunfähig. (Die seelische Zerstörung bei den Wohlhabenden, Süchte, innere Hohlheit und so weiter, läßt sich in einer Villa und in Bequemlichkeit besser kompensieren oder ausheilen. Dieses schützt zwar auch nicht vor dem schlechten Gewissen, aber es betäubt.)

Kurz: Der Gegensatz zwischen Vielhaben und Halten und Wenighaben und Verlieren, wird schärfer.

3.Es gibt keine politische Opposition, die grundlegende Politik machen will, Ursachen zeigt (zum Beispiel Einkommen benennt als Mittel der Politik), politische Strategien hat und gesellschaftliche Werte umfaßt (zum Beispiel Konsumboykott). Das wird es meines Erachtens auf Zeit auch nicht geben wegen Punkt 2. [...]

Es gibt nicht mehr die alten Gegner, weil Verantwortlichkeit für eigenes Handeln zu den fallenden Werten gehört und dieser Maßstab wegfallen wird. Lediglich kurzfristige von verschiedenen Lobbys lancierte Bewertungsmaßstäbe werden angewandt, lediglich um Interessen durchzusetzen (sogenannte „Öffentlichkeit“).

Und was machen wir? Zusehen? Die alten Aktivitätsappelle verhallen langsam in der Lächerlichkeit angesichts der Entwicklung in die gesellschaftliche Barbarei mitten im Wohlstand, wo soviel Kapital und finanzielle Werte geschaffen werden wie selten zuvor und viele Täter und Opfer sind und einige allerdings immer noch nur Täter sind.

Solange wir nicht sehen, daß es unabdingbar ist, uns selber erst mal und dann vielleicht auch andere aus diesem brutalen Spiel mit den Menschen herauszuwinden, sehe ich keine Sonne mehr. Aber das muß ja nicht gleich wieder in neue alternative Verbissenheit (kennen wir zur Genüge), die langweilige Besserwisserei oder päpstliche Streitigkeiten u.a. münden. Vielleicht gibt's ja doch noch bessere Möglichkeiten, die Abgegessenheit und Langeweile zu bewältigen. [...] Trotzdem: Irgendwie werden mir die Deutschen immer unheimlicher, aber nicht nur die! B.Bauer, West-Berlin