CSFR-Parlament stimmt Vertrag mit der BRD zu

Prag (taz) — „Aufgabe tschechoslowakischer Positionen“, „Liebesdienerei gegenüber dem großen Nachbarn“, „Gefahr des deutschen Revanchismus“ — bei der Debatte über den deutsch-tschechoslowakischen Freundschaftsvertrag in der Prager Föderalversammlung am vergangenen Mittwoch brachten die Abgeordneten der linken Parteien noch einmal mit aller Vehemenz ihre Bedenken gegen die Ratifizierung des Abkommens zum Ausdruck. Genützt hat es ihnen jedoch wenig. Nach einer mehr als achtstündigen Diskussion, nach mehr als 40 Redebeiträgen billigte das Parlament den bereits im Februar dieses Jahres von Kanzler Kohl und Präsident Havel unterzeichneten Vertrag mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von 144 zu 33 Stimmen. 47 Abgeordnete enthielten sich.

„Überraschend“ war die deutliche Mehrheit der Jastimmen vor allem deshalb, weil selbst in den Redebeiträgen der Regierungsparteien immer wieder auf die „Unvollkommenheit“ des Vertrags hingewiesen worden war. Kritisiert wurde, daß es Außenminister Dienstbier nicht gelungen sei, die „Nullität des Münchner Abkommens von Anfang an“ durchzusetzen. Schließlich, so ein Abgeordneter, dürfte die völlige Annullierung der erzwungenen Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich 1938 doch nicht daran scheitern, daß dadurch für einige Sudetendeutsche — entsprechend der Argumentation der Bundesregierung — „rechtliche Probleme“ entstehen würden.

Und obwohl gerade Jiri Dienstbier darauf hinwies, daß „Staaten Verträge über die Zukunft und nicht über die Vergangenheit ihrer Beziehungen“ abschließen, war auch die zweite Kernfrage der Debatte eine historische: Ist die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg „moralisch zu verurteilen“, oder war sie eine „verständliche Reaktion“ auf die Verbrechen der Nationalsozialisten im Protektorat Böhmen und Mähren? Nicht nur einmal entstand dabei der Eindruck, einer erneuten Auflage der seit mehr als 40 Jahren dauernden Auseinandersetzung zwischen Sudetendeutschen — vertreten von den Befürwortern des Vertrages — und den Tschechen der Kriegsgeneration — vertreten durch die Vertragsgegner — beizuwohnen. Beide Seiten griffen in die Kiste abgenutzter historischer Pauschalurteile, niemand beschäftigte sich mit einem Argument, das bereits zu Beginn der Debatte aufgetaucht war: Selbst wenn das Prinzip der Kollektivschuld abzulehnen sei, könne man doch nicht vergessen, daß die überwiegende Mehrheit der Sudetendeutschen bei den Wahlen des Jahres 1935 die Partei des sudetendeutschen Turnerführers Konrad Henlein gewählt hatte. Und ebenso wie Václav Havel in seiner ersten Neujahrsansprache feststellte, daß „alle“ Tschechen und Slowaken für den „Gang der totalitären Maschinerie“ verantwortlich seien, so müsse dieses Urteil auch für die Sudetendeutschen und ihre Verantwortung für die Zerschlagung der Tschechoslowakei gelten. Sabine Herre