Birma entledigt sich seiner Moslems

200.000 Rohingyas flüchteten in den vergangenen Wochen nach Bangladesch/ Soldaten hatten sie enteignet, überfallen und zuletzt zur Zwangsarbeit rekrutieren wollen  ■ Aus Cox's Bazar B.Imhasly

Mustaffiz Rahman steht auf dem Erddamm, der den Naaf-Fluß von den Salzpfannen entlang des Ufers trennt. Seinen Neffen hat er vorausgeschickt, um Trinkwasser zu suchen. Die Frauen und Kinder kauern unter schwarzen Schirmen, die sie vor der grellen Sonne schützen. Unten an der Uferböschung liegen die wenigen Habseligkeiten, die die drei Familien über den Fluß ins bengalische Teknaf gerettet haben: vier Bambuskörbe mit Blechgeschirr und Kleidern — nicht viel für einen Bauern, der in seinem Dorf Fimalli acht Hektar Land besessen hat.

Rahman zeigt dabei auf die Hügelzüge der Region Arakan, die sich jenseits des Flusses im Dunst der Mittagshitze abzeichnen. Drei Tage sei er mit den drei Familien unterwegs gewesen, am Abend vor dem Übersetzen seien sie noch einmal von „Luntin“-Soldaten belästigt und des letzten Geldes beraubt worden. Bereits einmal, im Jahr 1978, sei er geflohen. Diesmal werde er nicht zurückkehren, es sei denn, Aung Sang Suu Kyi übernehme die Macht.

Warum flüchtet der wohlhabende Bauer Mustaffiz Rahman praktisch mittellos in ein Land, von dem er schon weiß, daß es zu arm ist, ihm eine bleibende Zuflucht zu gewähren? Mustaffiz' Bericht gleicht jenem vieler Flüchtlinge in den Lagern Bangladeschs: Vor einem Jahr wurde der Familie die Hälfte ihres Ackerlandes von der Armee weggenommen. Seitdem sind immer wieder Patrouillen ins Dorf gekommen, sind in die Häuser eingedrungen, haben die Männer als Ausländer beschimpft und geschlagen, die Frauen belästigt und sind jeweils mit Hühnern und Reisvorräten abgezogen, sagt er. Was schließlich den Ausschlag gegeben hat, war der letzte derartige Besuch. Die Männer wurden zusammengetrieben, und ein Offizier eröffnete ihnen: da sie das Land nicht verlassen wollten, obwohl sie keine Landesbürger seien, würden sie nun zum Straßenbau eingezogen. Wie weitere 1.000 der insgesamt 1.200 Haushalte von Fimalli kauften sich Mustaffiz und seine Brüder von der Fronarbeit frei. Beim nächsten Mal, so waren sie sicher, würden sie verschleppt werden — der Entschluß zur Flucht über die Berge und den Fluß nach Bangladesch war gefallen. Wie viele Flüchtlinge ist auch Rahman mit einer Identitätskarte aus den fünfziger Jahren ausgestattet, die ihn als birmesischen Bürger ausweisen. Doch die ist nichts mehr wert — bereits 1982 hatte ihn das Bürgerrechtsgesetz dieses Status beraubt. Das machte aus allen Bürgern Birmas, deren Vorfahren sich nach 1823, dem Datum des ersten Anglo-Birmesischen Krieges, im Land angesiedelt hatten, nur noch ungern gelittene Gäste. Und wie viele Mitglieder der Bevölkerung, die zu 90 Prozent aus Analphabeten besteht, konnten schon schriftlich nachweisen, daß die Ansiedlung vor 1823 stattgefunden hatte?

Seit der Unabhängigkeit Birmas 1948 versuchten die buddhistischen Bham, die größte der birmesischen „Nationen“, ihre Idee eines Staates — eine Mischung von Buddhismus, Militarismus und rassischem Überlegenheitsgefühl — durchzusetzen. Bereits 1948 wurden 80.000 Rohingyas nach Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, vertrieben. „Pra Saya“, die Operation, die nun zum neuerlichen Exodus von über 200.000 Rohingyas geführt hat, ist nur der jüngste in einer Reihe militärisch-administrativer Versuche der beherrschenden buddhistischen Mehrheit, sich der rassisch-religiösen Minderheiten zu entledigen.

Der überwiegende Teil der Rohingya-Minderheit lebt in abgelegenen Dörfern. Deren wirtschaftliche Rückständigkeit und Isolation haben die Bildung einer politischen Protestbewegung als Reaktion auf die staatliche Repression behindert. Dennoch sind im Lauf der Jahre eine Reihe von politischen Gruppierungen entstanden.

Der junge Abdur Razzak, der seinem Onkel Mustaffiz geholfen hat, Frauen und Kinder über die Grenze nach Bangladesch zu bringen, erklärt denn auch, er habe bereits einmal sechs Monate in einem Ausbildungslager der „Rohingya Solidarity Organization“ (RSO) verbracht. Nun will er wieder versuchen, mit ihr in Kontakt zu treten. Die RSO ist die größte von einem Dutzend von Organisationen, von denen einige seit Jahrzehnten ohne großen Erfolg versuchen, sich gegen die gut ausgebildete birmesische Armee zu wehren.

Den Rohingyas fehlte in der Vergangenheit nicht nur die Organisation und Durchschlagskraft anderer Minderheiten in Birma, sondern auch die Duldung durch das Nachbarland im Norden, das ihnen mit Mißtrauen begegnete. Bangladesch ist selber seit Jahrzehnten in einen militärischen Kleinkrieg gegen seine eigenen Stammesminderheiten in den Hügelgebieten von Chittagong und Bandarban verwickelt.

In dieses Vakuum sind in den letzten Jahren erfolgreich islamische Parteien geschlüpft. Neben der RSO erhalten inzwischen auch andere islamische Gruppierungen wie die „Arakan Rohingya Islamic Front“ (ARIF) Unterstützung vom „Jamaat Islami“, der seinerseits durch materielle Mittel aus dem Nahen Osten gefördert werden soll.

Vorläufig hat die Rohingya-Bewegung jedoch keine Ausrichtung auf eine nationale Unabhängigkeit des Arakan. Dies kommt auch dann zum Ausdruck, wenn die Männer in den Flüchtlingslagern behaupten, daß sie bei den Wahlen von 1990 für die Bewegung von Suu Kyi gestimmt hätten und daß sie bereit seien, in ihre Heimat zurückzukehren, sobald die birmesische Militärjunta die Oppositionellen freilasse.