Teetisch, Besen, seid's gewesen!

■ Zwei Wundertäter eröffneten das Bremer Butoh-Festival: Kazuo Ohno (86) mit seinem Sohn Yoshito im Schauspielhaus

Wollen wir unseren Augen trauen und weitersagen, daß folgendes zu tanzen menschenmöglich ist? Eine Eierschale, wie sie bröckelt; ein zerstreutes Teetischchen; etwas fahriges Espenlaub? Glauben Sie mir, daß ein 86jähriger Greis auf seinen kurzen Krummbeinen über die Bühne stöckelt und Blicke wie Küßchen wirft, bis jäh ein Starrkrampf ihn einwurzelt? Da zittert er, dürr jetzt wie ein Dornbusch, und bebt, bis uns die Augen brennen und doch nicht verbrennen. Alles das kann Butoh, dieser vegetative Tanz, wenn er ausgeübt wird von solchen Meistern: Kazuo Ohno, steinalte Kinderseele und Urahn aller Butoh-Tänzer; und Yoshito Ohno, Kazuos besonnener Sohn, welcher dem Abend den Charme des Überlegten unterhebt.

Donnerstags also im Schauspielhaus fing das Butoh-Festival an; und alle saßen stille, vollends verzaubert zu Mucksmäuschen, und sahen, was Butoh ist: vom Ballerinentum der himmellangen Beine das japanische Gegenteil; von der Schönheit das verstoßene Stiefgeschwister; und so unwiderstehlich. Klamme Figuren, zittrig vor Kraft; auswärts gekrümmte Arme; lauter Tasten und Schieben nach einem irgend geeigneten Wohin — und Beine, die einknicken unter der Last der Entscheidungen: Butoh fängt noch einmal von vorn an, was im Falle des Lebens heißt: ganz unten, wo es sich eben noch hält wie Moos.

Einer renkt sich, bis ihm die Krallenhände aufgehen und der Untierschädel sich abnehmen läßt; der andere krümmt sich langsam erdwärts zur Kreatur im Rüschenkleidchen: Ein Leben imitiert das andere; so kommt es voran. Mit einemmal ist ein rotes Tischchen im Spiel: gefesselt, daß es nicht davon kann, und von Ohno d.Ä. sorgfältig umstakst. Mit Rührung sieht man, welcher Affinität der Tänzer selbst zum Holze fähig ist. Ein Leben verwandelt sich ins andere; das Tischchen ist die reglose Verwandte; und vom Menschenwesen nur getrennt durch geringfügige Grade der Hölzernheit.

Eins übersetzt sich ins andere, und wie komisch manchmal! Wenn wir zum Beispiel die verschollenen Posituren des deutschen Ausdruckstanzes wiederfinden, die sich vor vierzig Jahren der junge Butoh begeistert einverleibt hat: all dieses Armewerfen, all diese exaltierten Rümpfe. Was aber müssen wir uns zeigen lassen? Daß ausgerechnet das Klischee, wenn man's mit Ehrfurcht vollführt, den schrillsten Witz erzählt.

KaChoFuGetsu heißt das Stück, was ziemlich viel ist, soviel wie Blume, Vogel, Wind, Mond. Und wirklich, wir sehen, in bunten Szenen, das Große Lexikon des Krauchens und Fleuchens: Selbst die Musik, eine Art Golden Hour of Brahms, Bach und Kitaro, löst sich immer wieder in kinetische Experimente auf: Zum Klang eines Leierkastens schlurft Ohno d.Ä. wunderlich räderwerkelnd umher; und schließlich die Majestät unter den Straußenwalzern, nämlich „An der schönen blauen Donau“, darf ein wahres Wunder umtreiben: Da dreht sich der alte Magier Ohno vor Vergnügen über den Dreitakt, wie ihn sein Körper hervorbringt überall zugleich; lauter ineinandergerenktes Kreisen von Händen und Hüften, gestockte Wendungen, kippende Achsen, bis endlich von oben bunte Seidentücher auf den Taumel herniederregnen aus Entzücken, während in unseren Herzen schon die Feuerzeuge brennen.

In allem bewirken die Tänzer das Gegenteil: im Frauenkleid den Mann, in Menschengestalt stampfend die Lokomotive, im Walzer das Andersrum, in der Reglosigkeit die Raserei. Wir sehen, was Körper alles sein können, wenn sie aus vergessenen Gegenden der Natur, wo wir bloß noch unsere Metaphern schürfen, neue Lebensform beziehen: Sie brechen ein „wie Reisig“, aber, o Wunder, es knackt nicht. Sie tanzen, die Mannsbilder, „wie Frauen“, in die man sich auf der Stelle verliebt, und sind's aber dann, o Besen, Besen, gewesen. Was für ein Leben. Und was für ein Tanz. Meine Verehrung! Manfred Dworschak