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■ AUS POLNISCHER SICHTPolnisches Theater

Man spricht von der Stimmungsdemokratie, wenn die politische Szene keine halbwegs feste Repräsentanz der gesellschaftlichen Schichten, Gruppen, ja Klassen (Pfui Teufel!) ist. Eine Situation wie in Polen entsteht, wenn es keine gut definierten Interessen der einigermaßen bestimmten Gesellschaftsgruppen gibt, die von politischen Parteien oder ähnlichen Organisationen in der Legislative (Parlament) und in der Exekutive (Regierung) artikuliert werden. Da die bestorganisierte Institution in Polen die katholische Kirche ist, hat sie es geschafft, eine Stimmungsmehrheit im polnischen Parlament zu erringen und übt derzeit die Macht aus.

Auf einer politischen Szene, die so schlecht definiert ist, sind alle Kunstgattungen möglich, allerdings wird die Groteske bevorzugt.

Beispiel 1: Der polnische Staatspräsident besucht Deutschland. Während er unterwegs nach Hause ist, beschließt das Innenministerium, keine Trabis und Wartburgs mehr nach Polen reinzulassen. Mit sofortiger Wirkung und ohne die Deutschen zu informieren.

Beispiel 2: Der Verteidigungsminister behauptet öffentlich, daß die Demokratie in Polen in Gefahr sei, er nennt keinen Namen, alle wissen jedoch, daß er seine Anschuldigungen gegen einen Senkrechtstarter, einen ehemaligen Chauffeur aus der Umgebung Walesas als einen Putschisten richtet.

Beispiel 3: In einem Dorf versucht der Begründer von MONAR (vergleichbar mit »Synanon«) ein Heim für HIV-positive Kinder in einem vom Gesundheitsministerium zugewiesenen Haus zu installieren. Der aufgebrachte Pöbel verhindert es (eine in Polen alltägliche Angelegenheit), die Polizei guckt zu, der Innenminister (ein Ultrakatholik) predigt vor der Presse von christlicher Ethik und bietet Hilfe des Innenministeriums bei der Suche nach einem Haus — das Recht ist er nicht willens zu exekutieren. Einige Tage zuvor beten etliche Abgeordnete im Sejm für das Erhalten des Lebens — im Leib des 14jährigen vergewaltigten Mädchens in Irland. Je schlimmer, desto besser, sagen viele meiner Freunde in Polen, das kann nicht mehr lange dauern. Die Kirche und die Reaktionäre werden sich in den Augen der Bevölkerung kompromittieren und dann kommt die Stunde der vernünftigen, zivilisierten Politiker, die inzwischen ihre Reihen besser ordnen sollten. Ja, wenn es so einfach wäre! Leider besteht in Polen eine reale Gefahr, daß durch gezielte Informations- und Bildungspolitik, durch Propaganda in der Kirche, in der Schule und im Fernsehen die Herausbildung einer zivilen, souveränen Mehrheit sich verzögern wird. VIelleicht kann sich die Lage so weit verfahren, daß die schwarze Rechte auf lange Zeit ein Machtmonopol besitzt. Dann werden die Zuschauer im polnischen politischen Theater noch lange gut unterhalten werden. Piotr Olszowka

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