EIN BESCHEIDENER VORSCHLAG Von Hans-Georg Behr

Noch wissen wir nicht, worüber wir uns nächste Woche aufregen sollen. Die Karenztage haben wir ja glücklich überstanden (waren auch kein Thema: nicht einmal Möllemann hat sich dazu geäußert). Und nun? Daß Schwarz- Schilling wieder einmal bei einer Lüge ertappt wurde? Daß es Stolpe trotz Katja Havemann und Eppelmann immer noch gibt? Daß sich Mecklenburgs Bauern ihr Land von der Treuhand nicht kaufen können, weil die aus Holstein mehr Kohle haben? Daß Thea Bock zur Strafe für ihren TV-trächtigen Birma-Ausflug von einer Schiffsschraube gezüchtigt wurde? Über die F.D.P.?

Geben wir zu: Seit es das Zeitalter des Marxismus nie, nie gegeben hat, wissen wir nicht mehr, wo wir sind, sondern tschundern herum wie ein Stückchen Butter auf der heißen Kartoffel. Die einInnen sind in Manchester gelandet, pardon, in der Romantik voller Seele, Ich und Ruß, andere im fünften Rokoko... Ich will nicht linkshaberisch sein, möchte aber behaupten, daß sich (östliche) Anpassungsgewohnheit mit (westlichem) Ohnemich an einem soliden toten Punkt getroffen haben, der von Bonn aus ein schwarzes Loch für die diversen Steinchenwürfe der Woche ist. Keine noch so abstruse Idee, auf die uns nicht erst die Affen der Nation bringen müßten.

(Für alle, die unser Raumschiff Erde Richtung Dreißigjähriger Krieg torkeln sehen: War schon eine tolle Meldung aus Ex-Jugoslawien, daß die Armee Bosnien solange bombardieren würde, solange ihre dortigen Munitionsfabriken bestreikt würden. Könnte eine Idee von Rühe sein.)

Ich habe, zugegeben, lange gebraucht, mich aus der atemlosen Beobachtung der Zeitläufte zu einem bescheidenen Vorschlag aufzuschwingen, der unserem Bedürfnis nach schlichten Unterhaltungsprogrammen ebenso nachkommt wie jenem nach Basisdemokratie, außerdem unsere politische Lieblosigkeit konkret umsetzt, viel Geld spart (was solidarisch für die Vereinigung eingesetzt werden könnte) und zusätzlich den Vorteil hat, daß sich einmal die über uns aufregen könnten. Ich plädiere also für eine kleine Grundgesetzänderung, die unsere gesamte Misere augenblicklich zum Vorteil der gesamten BRD wandeln wird.

Das ist nicht sonderlich originell, ich weiß. Die Demokratie wurde uns nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten diktiert, und so behandeln wir sie auch. Das CD(S)U- Bedürfnis, sich ständig am Grundgesetz zu vergreifen, begründet sich nur durch den Drang nach nationaler Emanzipation. Nun wird allerdings die zweit- bzw. drittstärkste Kraft des Landes unter den Wählern demokratisch nicht berücksichtigt, was dem Prinzip des Verhältniswahlrechts kraß zuwiderläuft. Also müßte die Gruppe NW künftig den Parteien gleichgestellt berücksichtigt werden, nach dem Verhältniswahlrecht mit ebensovielen Parlamentssitzen. Da NW logischerweise die Nichtwähler umfaßt, gewinnt NW Nichtsitze, die den anderen Parteien abhanden kämen. Dadurch dürften uns, zugegeben, die Grünen ebenso erspart bleiben wie Genscher, aber wir werden unsere Trauer beherrschen, zumal dann nicht einmal die Neonazis eine Chance hätten. Auch der Umzug nach Berlin wäre so zu schaffen, da ihn — warten wir nur zwei Legislaturperioden ab — dann nur mehr Schäuble und ein halber Klose mitmachen müßten. Wir aber wüßten wieder, worauf es ankommt, und die Medien würden mir danken.