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DIE FÜNFTE GEWALT — WEGE AUS DEM MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart

Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg, als alliierte Offiziere die Zeitungslizenzen erteilten, sind damit heute andere beschäftigt. Beispielsweise die „Rheinhyp — Rheinische Hypothekenbank“ und die „Württemberger Hypo“, die mit ihren Vierfarbanzeigen das Erscheinen eines neuen Printprodukts ermöglichen: „Die Kalten Krieger gehen. Der heiße Markt kommt.“ In den neuen Ostgauen werden jetzt die Nachkriegsoperationen geführt, und mit ImmoOst erhalten jene, die skrupellos und vermögend genug sind, um mitgewinnen zu können, die zukünftig geltenden Schlachtpläne: „Wohnhaus Leipzig-Neustadt, Entfernung z. Hauptbahnhof ca. 1.500 m, Wohnfl. ca. 245 qm, Grundstücksgröße ca. 230 qm, Kaufpreis: DM 150.000“. Den Spaß, mindestens acht Mietparteien mit Änderungskündigungen und Mieterhöhungen quälen zu können, gar nicht eingerechnet.

Doch der Quick-Reporter Josef Hufelschulte ist geschockt, als er im Ostberliner Großviertel Marzahn die Kehrseite der Dividendenstrategie kennenlernt und Marco und seine messerbewaffnete Kindergang trifft: „Diese Augen. Wie kann ein Kind solche Augen haben? Kalt, abgestumpft und leer. Ein Blick, so grau und so kaputt. Dabei ist Marco gerade 13 Jahre alt. Ein Teenager. Die ersten Pickel am Kinn, bald kommt der Stimmbruch. Er läßt ein Springmesser aufschnappen, fährt prüfend mit dem Daumen über die scharfe Klinge.“ Diese häßliche Seite unseres sozialdarwinistischen Wirtschaftssystems — der Starke siegt, der Mittlere überlebt im Rudelopportunismus, der Schwache gerät zur Beute — berührt den Reporter unangenehm. Trotz des positiven Aspekts, daß auch Hersteller und Händler von Individualwaffen zur Erhöhung des Bruttosozialprodukts beitragen: „An diesem verhängnisvollen Donnerstag nachmittag im März traf es halt Steven (8). Er wollte spielen, sich austoben, Abenteuer erleben. Wie das jeder Junge in diesem Alter möchte. Doch dann wurde Steven von drei Burschen gestoppt. Drei im Grundschulalter, die nur Langeweile hatten. Sie bespritzten Steven mit Spiritus und zündeten ihn an.“ Niemandem werde es schlechter gehen — Kohl hat nicht gelogen. Denn auch Sven ist bestimmt lieber tot als rot.

Nicht nur das Konterfei von Roy Black wird in diesen Tagen oft gedruckt. Auch das Bildnis von Albert Einstein findet rege Verwendung — von der 'Quick‘-Serie „Mehr Wissen“ bis zur Anzeige des „Info- Service Strom“ der deutschen „Stromversorger“, die ihre Kernenergie-Broschüre mit dem Portrait und einem Zitat des Wehrlosen anpreisen: „Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“ Diesem Thema widmet sich auch die Zeit, die jetzt Hintergründe zum Atom-Thema „Warum Hitler die Bombe nicht baute“ liefert. Interessant dabei die Pikanterie, die der Arbeitsteilung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung zu verdanken ist. Denn auf der Seite mit der Atompilzillustration findet auch eine Anzeige mit... richtig: Einstein-Bild Platz, dessen Formel von der Äquivalenz von Masse und Energie die theoretische Grundlage zum Bau der Bombe bildete. Nur wirbt hier diesmal das Arbeitsamt: „Hätten Sie den jungen Einstein als Lehrling genommen?“ Blüms Behörde sollte vielleicht einmal mit deutschen Nuklearfirmen wie Siemens Kontakt aufnehmen, die gerne mit dem Irak und aller Welt Handel treiben.

Steinbach: Mit Kußhand.

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