Stasi in der Lindenstraße

■ Die „Heimat“ der Dauerserie lag in der 334. Folge in Sachsen

Es war so schrecklich. So schrecklich! Nun gut, oft genug kann ich sie nur ertragen, wenn ich mich an das vom Bildschirm am weitesten entfernte Sofaende kauere, ein großes Kissen vor die angezogenen Knie gepreßt, das bei Bedarf vors Gesicht gehalten werden kann, immer dann, wenn Panaiotis zum Beispiel sagt: „Ich will dich nur sehen, Tanja, nur sehen“, oder wenn Walze einen prosemitischen Anfall bekommt und mich die kalten Schauer überlaufen. Das ist ja auch die katharsische Wirkung der Lindenstraße, wegen der wir sie so gerne sehen. Aber diesen Sonntag hat Geißendörfer es übertrieben.

Dabei war die Folge so vielversprechend angekündigt: Die Lindenstraße sollte zum ersten Mal außerhalb von München spielen, zudem enthalte diese Folge nur einen Handlungsstrang, nicht drei verschiedene wie üblich, auf Videoclip-Art ineinander verhackstückt — was übrigens den positiven Nebeneffekt hat, daß man die logischen Brüche nicht so merkt. Und der Osten mit seinen Problemen käme erstmals vor.

Die Lindenstraße — das sei für die unerfahrenen Leser vorausgestellt — ist eine Serie, die zeitgleich zur Wirklichkeit spielt und aktuelle politische Probleme auf realitätsnahe Art aufgreift. Nun denn: Benni Beimer und seine Blumenhändlerin — die auf fatale Art an Mutter Beimer erinnert— fahren gen Osten, ins sächsische Borna, wo Claudia herkommt und wo ihr dunkles Geheimnis verborgen liegt, das sich nun, nach Monaten, endlich lüften soll. Schon der Beginn ist bedeutungsgeschwängert: An der Zonengrenze, der ehemaligen, am zerfallenen Grenzkontrollpunkt wischt sich Claudia die erste Träne aus den Augenwinkeln. Dann der sächsische Braunkohletagebau: Klein-Benni riecht verwundert und voller Überraschung den Kohlestaub, so schlimm sei das hier gewesen? Claudias Familie in Borna: Der Vater, Invalide mit Staublunge, verträgt keine West-Spaghetti und raucht trotzdem in Treue fest zur DDR die Knastermarke Karo, fortwährend hustend und verbittert über die Besserwessis. Der Bruder haftentlassen, die schmale Entschädigung schon aufgebraucht, arbeitslos, hoffnungslos, die Mutter kurz vor der Abwicklung, ein Wessi soll ihren Laden übernehmen. Und schließlich der Höhepunkt: Benni und Claudia im Amphitheater zu Borna. Claudia gesteht Benni (Überraschung! Überraschung!) ihre Stasi-Vergangenheit und ihren Bruderverrat („die hatten Methoden, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Eine Klassenkameradin ist in der Psychiatrie gelandet!“), und Benni — offenbar hat er zum ersten Mal den Begriff Stasi gehört — rastet aus. Was, es hat in der DDR eine Mauer gegeben? Umweltzerstörungen? Gefängnisse? Einen Spitzelapparat? Benni ist fassungslos, was er hier und heute zum ersten Mal erfährt. Zum Schluß der Abschied auf dem Bahnhof von Leipzig, ein paar Skins schlagen nebenbei einen Türken zusammen, während Benni und Claudia sich tränenüberströmt ein Stück weit in die Reste ihrer Beziehung einbringen.

Zum Schluß dankt Geißendörfer der Bevölkerung von Borna und Leipzig (bei der er sich fortan wohl kaum mehr blicken lassen darf) für ihre Unterstützung bei den Dreharbeiten. Was lehrt uns das alles? Erstens: Benni hätte doch sein Abitur machen sollen, dann könnte er seit längerem Zeitungen lesen. Zweitens: Laß dich nie mit einer Frau ein, die genauso ist wie deine Mutter. Drittens: Es gibt einen originären westdeutschen Kulturbegriff. Eva Schweitzer