Ein Klotz für Bonn

■ Die Bundeskunsthalle wird eröffnet: ein Ort für populäre Wanderausstellungen, eine Bastion gegen die Kulturhoheit der Länder

Alles hätte zeitgleich so schön passen können: Fast 40 Jahre lang waren die wechselnden Regierungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Idee einer zentralen Bundeskunsthalle in der dezentral gelegenen Hauptstadt Bonn schwanger gegangen; ebensolang hatten die Fachleute aus Politik und Verwaltung geplant und überlegt, konzipiert und gerechnet — und das Vorhaben zunächst verworfen. Das Engagement für ein deutsches Zentralmuseum war mit der Republik in die Jahre gekommen. Kurz nach der Machtübernahme des demonstrativ geschichtsbewußten Helmut Kohl wurden aus den gründerzeitlichen Überlegungen konkrete Planungen: Mit den Ministerpräsidenten der Länder, die bis dato um ihre Kulturhoheit gefürchtet hatten, vereinbarte der Kanzler 1984 die Errichtung einer „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“. Der Wiener Architekt Gustav Peichl wurde nach einem international ausgelobten Ideenwettbewerb 1986 mit der Ausführung seiner Pläne beauftragt.

Ausgerechnet jener inzwischen historische Oktober 1989, in dem es sich der Kanzler nicht nehmen ließ, selbst den Grundstein für den von ihm beschleunigten Museumsneubau zu legen, weckte dann aber erhebliche Zweifel nicht allein am Standort für den Mammutbau. Die Öffnung der Mauer und die sich ankündigende deutsch-deutsche Vereinigung hatten Bonn endgültig an den äußersten Rand des neuen Deutschlands gedrängt. Und anders als das neue Zentrum Berlin schien die von Adenauer ehedem fintenreich durchgesetzte alte Bundeshauptstadt ihre Zukunft durch die neuen politischen Entwicklungen hinter sich zu haben. Neben diesen historischen führten Kritiker der Bundeskunsthalle aber auch kulturpolitische Gründe für ihre Ablehnung an: Die Städte Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Essen, Dortmund, Mönchengladbach, Wuppertal und Duisburg sind seit Jahrzehnten Sitz angesehener Kunstmuseen mit respektablen Sammlungen und Ausstellungen. Sie hätten, anders als verschiedene kulturell eher spärlich ausgestattete Regionen, kaum einer Ergänzung oder gar Konkurrenz bedurft. In wenigen Wochen nun soll auch die Öffentlichkeit sehen, auf welche Weise die Bundesregierung künftig der Kunst huldigen will. Helmut Kohl höchstpersönlich wird am 17.Juni — vier Monate eher als ursprünglich geplant, dafür aber wieder an geschichtsträchtigem Datum — seine Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn eröffnen.

138 Millionen Mark standen allein für den Neubau und seine Erstausstattung zur Verfügung. Für diese Summe setzte Gustav Peichl, der zuvor unter anderem die umstrittene Erweiterung des Frankfurter Städel und das Wiener Kunstforum gebaut hat, auf das großzügige Gelände an der Bundesstraße9 einen klobigen Steinkubus von 96,3Metern Seitenlänge. Schon von weitem sichtbar, überragen ihn die Spitzen dreier kegelförmiger Lichttürme auf dem 8.020 Quadratmeter großen und von außen über eine lange Treppe erreichbaren Dachgarten. Sie durchbrechen, im Inneren des Gebäudes als verglaste Stützenbündel aufgelöst, Ober- und Erdgeschoß und geben allen Ausstellungsräumen natürliches Tageslicht. Ein variables Konzept wiederum überwiegend quadratisch angelegter größerer und kleinerer Säle und Kabinette ermöglichen auf einer Gesamtausstellungsfläche von 4.325 Quadratmeter das gleichzeitige Nebeneinander von bis zu sechs unterschiedlichen Ausstellungsprojekten. Mit einer Grundfläche von 1.304 Quadratmetern und einer Deckenhöhe von 9,15 Metern nimmt dabei die zweigeschossige große Halle den meisten Platz ein. Ergänzt wird das funktional durchdachte Raumprogramm neben den museumsüblichen Büros und Werkstätten durch ein eigenes Fernsehstudio, einen Buchladen und eine auf das Ausstellungswesen spezialisierte Fachbibliothek.

Sie allein bietet tatsächlich eine sinnvolle Ergänzung der rheinischen Museumslandschaft. Eine Bibliothek, die sich vor allem der Präsentation und Wirkung von Kunst in den Museen und im öffentlichen Raum widmet, gibt es hier noch nicht.

Ihre Ausrichtung korrespondiert mit den beiden Arbeitsschwerpunkten, die schon 1984 im Bund-Länder- Abkommen formuliert wurden. Damals wurde vereinbart, daß sich die Bundeskunsthalle vor allem um „Ausstellung und Kommunikation“ zu kümmern habe, eine Definition, die fast nichts ausschließt — mit Ausnahme des Sammelns. Kunsthistorische Forschung und Aufarbeitung ist in diesem Konzept nicht vorgesehen, obwohl das Unternehmen über einen Jahresetat verfügt, von dem wirkliche Museen nur träumen können: Während ihre Etats nicht nur für den Ankauf, sondern auch für die Erhaltung und Präsentation in den vergangenen zehn Jahren nicht zuletzt durch stetig sinkende Zuwendungen des Bundes an die Länder ständig schrumpften, stehen der Bonner Kunsthalle jährlich 25 Millionen Mark zur Verfügung — noch mehr als dem deutschen Historischen Museum in Berlin.

Bonn könne nun auch „Ausstellungen übernehmen“, die andere Häuser „sich nicht leisten können“, wurde der geschäftsführende Kunsthallen-Direktor Wenzel Jacob nach der ersten Pressekonferenz zitiert. Unter der Aegide von Gründungsintendant Pontus Hulten steht der ehemalige documenta-Mitarbeiter der offiziell unabhängigen „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH“ vor, deren einziger Gesellschafter allerdings der Bund ist. „So ist das nicht gesagt worden“, betreibt Pressesprecherin Maja Majer-Wallat semantische Schadensbegrenzung: „Wir holen Kunst, die sonst an Deutschland vorbeiginge. Wir sehen uns aber nicht als Konkurrenz zu anderen Häusern.“ Es lebe der feine Unterschied.

Die Gigantomanie dieses Anspruchs formuliert architektonisch schon die Fassade des Neubaus. Mit ihren die Monumentalität der Mauern betonenden weit zurückliegenden zweireihigen Fensterdurchbrüchen und der klaren Gliederung in Bausockel, -körper und Dachzone, die voneinander durch umlaufende Friese getrennt werden, erinnert sie eher an das Reichsluftfahrtministerium des NS-Architekten Sagebiel in Berlin denn an die zeitgenössischen Museumsbauten in Mönchengladbach, Köln und Emden. Geplante elf Säulen aus Stein wurden nach der Wiedervereinigung zu sechzehn Metallsäulen in der Ausführung. Sie sollen „die 16 deutschen Bundesländer als ,Säulen deutscher Kultur‘“ symbolisieren. Jedes Bundesland darf deshalb vor der Eröffnung eine Kultursäule widmen, nationales Pathos ist wieder gefragt, der Kanzler liebt Symbolik. Schon heute haben die Säulen die gleiche rostige Patina wie sein Kanzleramt.

Gleich fünf Ausstellungen, mit denen nicht viel falsch gemacht werden kann, sollen schon zur Eröffnung die Vielfalt der Möglichkeiten demonstrieren: Während Ina Peichl das Werk Gustav Peichls und Niki de Saint Phalle zum x-ten Mal sich selbst inszeniert, zeichnet Klaus Honnef für ein Pantheon der Fotografie im 20.Jahrhundert verantwortlich. Die wissenschaftlich-pädagogische Multimediaschau Erdsicht. Global Change, die auch den Vortragssaal im Erdgeschoß miteinbezieht, soll globale ökologische Probleme optisch und haptisch faßbar machen.

Den Anfängen der modernen Kunst ist das größte der Eröffnungsprojekte gewidmet. Gleich 150 Schlüsselwerke des 20.Jahrhunderts will Hausherr Pontus Hulten unter dem Titel Territorium Artis im Bundesdorf versammeln. Die noch inoffizielle Liste der angekündigten Exponate, von denen jedes einzelne einen Wendepunkt der Kunstgeschichte markieren soll, liest sich wie ein Looker's Digest aus den Museen der Welt: Kandinskys erstes abstraktes Aquarell von 1910 kommt aus Paris, Malewitschs Schwarzes Quadrat aus Moskau. Max Ernsts Frottagen, Man Rays „Rayographien“ und Duchamps Ready-mades werden im Panoptikum der neuen Kunst ebenso ausgestellt sein wie Picassos Fahrradsattel-Stierkopf, Beuys' Badewanne, die bronzenen Bierdosen von Jasper Johns, Warhols „Brillo“-Kartons und der Plastikhase in Edelstahl von Jeff Koons. Meret Oppenheim, Piet Mondrian, Bruce Nauman und Marcel Broodthaers werden neben Jackson Polliock und Barnett Newman vertreten sein.

Beachtlich ist dabei sicher die Leistung, alle Ikonen der Neuzeit an einem Ort zu versammeln. Der Vertrauensvorschuß, den Pontus Hulten in allen Museen der Welt genießt, kommt dabei zum tragen. Entsprechend lange Warteschlangen und hohe Besucherrekorde sind mit dieser Idee schon jetzt sicher. Kunsthistorisch allerdings kann sie nicht viel Neues bringen: Alle Werke, die nach Bonn kommen, sind längst akzeptiert und in ihrer Bedeutung für die Kunstentwicklung unbestritten. Ihre konzentrierte Zusammenballung an einem Ort dürfte deshalb ebensowenig neue Erkenntnisse wie Spannung bringen.

Die Vorankündigungen der kommenden Ausstellungen lassen ahnen, daß Experimente in Bonn nicht gefragt sein werden. „Wir können kein avantgardistisches Museum sein“, grenzt Pressesprecherin Maja Majer-Wallat den Aktionsradius ihres Hauses ab. „Die großen Sammlungen“ der Museen der Welt will man hier in den kommenden Jahren in loser Folge zeigen. Schon in diesem Herbst wird als erstes Ziel der Reihe die Sammlung des Museum of Modern Art aus New York mit Werken von Cézanne bis Pollock eingeflogen werden. Wie alle Sammlungen jüngerer Museen wurde auch sie nur zusammengekauft und -gestiftet: Geistesblitze und Irrtümer inklusive. Einblicke in die Geschichte der Kunstmuseen, ihre Gründer und Stifter können gerade solche Ausstellungen nicht geben, weil das begleitende Material bereitzustellen eine umfassende Recherche erfordern würde. Sie sind Greatest-Hits-Ausstellungen, mit großen Namen und bekannten Bildern.

So wird auch die neue Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland vor allem dazu beitragen, daß sich das internationale Verleih- und Versicherungskarussell weiter munter drehen kann. Die eigentliche Arbeit der Museen aber, das Bewahren und Aufarbeiten des Kulturerbes, bleibt auch weiterhin den Häusern vorbehalten, denen fortlaufend die Mittel abgegraben werden, nicht zuletzt durch das Renommierprojekt an der Peripherie eines Dorfes namens Bonn. Stefan Koldehoff