piwik no script img

Globetrotter zurück zum Bodenpersonal

■ Monatelang hat er dichtgehalten, der Kanzler. Denn Kohl war der einzige, der von Genschers geplanter Demission wußte. Für das FDP-Präsidium kam die gestrige Rücktrittsankündigung des dienstältesten...

Globetrotter zurück zum Bodenpersonal Monatelang hat er dichtgehalten, der Kanzler. Denn Kohl war der einzige, der von Genschers geplanter Demission wußte. Für das FDP-Präsidium kam die gestrige Rücktrittsankündigung des dienstältesten Außenministers der Welt (18 Jahre war er im Amt) überraschend. Als Erbin präsentierten die FDPVorderen Bauministerin Irmgard Schwaetzer (50).

Ende einer sehr, sehr langen Dienstzeit: Ganz Bonn war überrascht, als Hans-Dietrich Genscher vor dem FDP- Präsidium seinen Rücktritt verkündete. Am 17. Mai, auf den Tag genau achtzehn Jahre nachdem er das erste Mal zum Außenminister ernannt wurde, will Genscher sein Amt niederlegen. Schon zu Jahresbeginn hatte Genscher Helmut Kohl in die Rücktrittsabsichten eingeweiht. Der konkrete Termin, „die Einzelheiten meines Ausscheidens“ (Bundesaußenminister Genscher) wurden zwischen Kanzler Kohl, FDP-Spitze und dem „dienstältesten Außenminister“ in den letzten Tagen besprochen.

In einem förmlichen und einem persönlichen Brief an den Kanzler und in seiner Erklärung vor dem FDP-Präsidium begründet Genscher seinen Rücktritt mit der ungewöhnlich langen Dienstzeit in der Regierung. Seine Entscheidung, so Genscher vor der Parteispitze, „ist das Ergebnis seit langer Zeit angestellter gründlicher und ernsthafter Überlegungen, die mich seit der Jahreswende 1990/91 beschäftigt haben. Fast 23 Jahre gehöre ich jetzt der Bundesregierung an. Das ist mehr als die Hälfte des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland.“ An Kohl schrieb Genscher: „Es ist meine feste Überzeugung, daß dieser Schritt richtig und notwendig ist. Dies gilt auch für den Zeitpunkt.“

Mit Genscher geht eine Institution. Als Innen- und Außenminister erst der sozialliberalen, dann der gegenwärtigen Regierungskoalition, der er entscheidend den Weg bereitet hat, gehört Genscher zum festen politischen Bestand in Bonn. Sein Abgang, von Freund und Feind mit allen verfügbaren Begriffen des politischen Lobes und historischer Dimensionen bedacht, war also ein Ereignis, und das um so mehr, als gut gehütete Personalgeheimnisse selten sind.

Das Außenamt bleibt in FDP-Hand

Spekulationsraum bot also vor allem die offene Frage, wer denn Genscher nachfolgen würde. Daß der einzige dafür in Frage kommende Unionspolitiker, nämlich der jüngst zum Verteidigungsminister gekürte Volker Rühe, aus dem Rennen ist, dafür hat Genscher mit der Terminierung seines schon lange anvisierten Rücktritts gesorgt. Sehr gelassen reagierte Lambsdorff auf die Frage nach möglichen Ansprüchen aus der CSU, die in regelmäßigen Abständen immer wieder vorgebracht wurden. Das Amt, so auch Bundeskanzler Helmut Kohl vor der Presse, bleibt, wie es Koalitionsabsprache für diese Legislaturperiode ist, in FDP- Hand.

Genscher selbst hielt sich mit Vorschlägen zurück, und der erste Kandidat aus der Riege der tatkräftigen mittleren Führungsgeneration der FDP war schnell aus dem Gespräch. Jürgen Möllemann, der sich selbst für jedes Amt geeignet hält, bleibt nach eigenem Bekunden bei seinem Leisten, also im Wirtschaftsministerium.

Die Diskussionen konzentrierten sich schnell auf den FDP-Shooting- Star Klaus Kinkel, der sich als Justizminister ungewöhnlich schnell profilierte, als zukünftiger FDP-Chef ernsthaft im Gespräch ist und nur zweideutig abwinkte, als er nach seinen Ambitionen gefragt wurde. Irmgard Schwaetzer, Bauministerin, 1988 als Gegenkandidatin von Otto Graf Lambsdorff achtbar gescheitert, kommt aus dem Genscher-Ministerium und hat entsprechende Kompetenzen vorzuweisen. Lambsdorff wie Kohl hielten eisern dicht, als direkt, indirekt und trickreich nach dem Nachfolger gefragt wurde. Er sei „nicht willens“, erklärte Lambsdorff, über Namen zu sprechen. Erst käme das Gespräch mit dem Kanzler, dann erneut das Partei-Präsidium, dann die Öffentlichkeit. Kohl seinerseits machte klar, daß die Freien Demokraten das Ministerium weiter besetzen würden und Hans-Dietrich Genschers Rücktritt nichts an seinem Zeitplan für das allgemeine Revirement ändert, das zur Jahresmitte stattfinden soll.

Während zunächst Kinkel als der aussichtsreichere Kandidat gehandelt wurde, verdichtete sich doch im Laufe des Nachmittags alles auf Irmgard Schwaetzer. Schließlich war nach Kanzlergespräch und FDP-Präsidiumssitzung klar: Sie wird die erste Außenministerin der Bundesrepublik. Ungewöhnlich ist eine Frau auch im Kreis der ausländischen Kollegen, und Irmgard Schwaetzer tritt in große Fußstapfen: Die Genscher- Würdigungen aus dem Ausland standen den inländischen nicht nach. Tissy Bruns, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen