Der Rote Platz von Schöneberg

■ Immer wieder gab es Ärger um die Umgestaltung des für seinen Wochenmarkt in ganz Berlin berühmten Winterfeldtplatzes

Schöneberg. Kaum jemand weiß es, aber es ist wahr: Auch Schöneberg hat seinen Roten Platz. Und sogar dank der CDU. Als die Bezirksverordnetenversammlung 1985 über eine neue Bepflasterung beschließen sollte, hatten der CDU-Baustadtrat und das Tiefbauamt die rötlichen Platten schon bestellt. Vergeblich protestierten AL und die »Projektgruppe« der Anwohner, erneut seien die Wünsche der Bürger nach Granitsteinen und Verkehrsberuhigung übergangen worden.

Diese kleine Anekdote rechtfertigt natürlich nicht, daß wir der Geschichte so dreist vorgegriffen haben. Denn eigentlich wollten wir mit den Schöneberger Bauern beginnen, die hier jahrhundertelang gemütlich ihre Äpfel und Kartoffeln ernteten. Als das Dorf im Jahre 1506 an den Kurfürsten von Brandenburg Joachim I. verkauft wurde, hatte es gerade mal neun Bauern. 1734 war die Einwohnerzahl auf den neun Bauern- und sieben Korsätenhöfen mitsamt dem Nachtwächter, dem Hirten, Schäfer, Prediger, Küster und Küchengärtner auf stolze 169 angestiegen und 1859 gar schon auf rund 3.000. Vor allem aber Berlin nebenan wuchs und wuchs, der Moloch langte mit seinen langen Armen tief hinein in die Schönefelder Wiesen. Zwischen 1882 und 1895 wurde das Bauland südlich des Nollendorfplatzes bis zur alten Dorfaue erschlossen, und, siehe da, im Jahre 1890 entstand zwischen mittelprächtigen Häuserzeilen — vorne hui für die Bürger, hinten pfui für das Proletariat — auch der Winterfeldtplatz. Als Marktplatz, wobei es bis heute blieb. Mit dem Unterschied, daß damals die nebenan wohnenden Bauern dort ihre Äpfel anpriesen, die mit den heutigen Birnen aus Bulgarien oder den Citrusfrüchten aus Chile natürlich nicht vergleichbar sind.

Damals war der Platz noch nicht rot, aber an Aufmarsch oder preußisches Exerzieren sollte wenigstens sein Name erinnern. Karl August von Winterfeldt, ein Freund von Friedrich dem Großen, hatte sich als General im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) blutige Sporen verdient. So gesehen war es also kaum ein historischer Zufall, daß man beim großen Aufbuddeln vor der Neupflasterung im Jahre 1985 einen Offizierssäbel und ein Hufeisen im Untergrund fand. Und weil wohl schon im letzten Jahrhundert die Erinnerung an Generäle und Krieg und Tod immer ein wenig schlechtes Gewissen machte, baute man 1895 ein Kirchlein auf den Platz, die katholische St.-Matthäus-Kirche. Damit alles seine rechte Ordnung hat und die Popen den Krieg preisen können.

Ein paar jedoch wollten das nicht so recht. Eine kleine Tafel am ziegelsteinernen Gotteshaus erinnert an Kardinal Clemens August Graf von Galen, der dort bis 1929 predigte und in den Zeiten, als auch auf dem Winterfeldtplatz eine Baracke von der Hitlerjugend okkupiert wurde, als Bischof von Münster Widerstand gegen die Nazis leistete. Auch der Konservative Erich Klausener, Leiter der »Katholischen Aktion« und Mitglied des Kirchenvorstands von St. Matthäus, formulierte auf dem Berliner Katholikentag im Juni 1934 Worte der Kritik und wurde dafür einen Monat später in seinem Amtszimmer von der SS erschossen. Und von Galens Nachfolger Albert Coppenrath, der 1933 noch »die Säuberung des öffentlichen Lebens von den ekelerregenden Erscheinungen des Schundes und Schmutzes« gepriesen hatte, bewegte sich ebenfalls langsam aber sicher in die christliche Opposition und wurde dafür ins Gefängnis geworfen.

Die neuzeitlichen Taten der Kirche sind indes nicht so berühmt. Im Krieg war der Winterfeldtplatz stark zerstört worden, auch St. Matthäus fehlt seitdem die steile Turmspitze. Jahrelang fristete der wenig neubebaute Platz ein eher kümmerliches Dasein, bis die Politiker im Zuge einer großangelegten Gebietssanierung Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wieder auf ihn aufmerksam wurden. Auch die Kirchenmänner erinnerten sich ihrer Grundstücke und holzten für den Neubau eines Seniorenwohnheims zwei alte Häuser weg. Ein drittes, die Goltzstraße 30, sollte folgen, doch man schrieb das Hausbesetzerjahr 1981, und über Nacht war das Haus okkupiert. Die Besetzer forderten Mitbeteiligung an der Planung, übrigens auch die anderen Anwohner. Seit die Neue Heimat in diesem ersten Sanierungsgebiet Deutschlands gewütet hatte und zahlreiche Häuser verkamen und verfielen, seit außerdem die Planung der Westtangente via erweiterter Pallasstraße für weitere Entmietungen sorgte, war die Säuernis groß. Insgesamt vierzehn Häuser am Winterfeldtplatz und in der gleichnamigen Straße wurden teilweise unter dem Beifall der umliegenden Mieter besetzt. In der Winterfeldtstraße 36, direkt am Platz, entstand ein selbstorganisiertes Jugendwohnprojekt, gegenüber in der Nummer 37 ernannten Besetzerinnen einen Seitenflügel zum »Frauenhaus«, und in der Einfahrt des Hauses Numero 25 verkündete ein Schriftband: »Ceterum censeo hac domum speculantibus non esse concedendam« – im übrigen meine ich, daß dieses Haus nicht den Spekulanten überlassen werden darf. Solches Ambiente sorgte dafür, daß Gerüchte über die bevorstehende Räumung des besetzten »Kirchenhauses« in den linden Mainächten des Jahres 1981 zu den schwersten Krawallen seit Beginn der Hausbesetzungen führten. Der damals immer noch nicht rote Platz wurde zum Aufmarschgebiet beider Seiten. Mit dem Antreten einer Hundertschaft Polizei endete schließlich auch die christliche Nächstenliebe der Kirche, eine Abrißbirne machte der Goltzstraße 30 den Garaus und Platz für das formschöne Seniorenheim, von Spöttern »Wohnen im Regal« genannt. Überhaupt wurden alle vierzehn Häuser geräumt. Bis auf eins.

Es blieb den Ex-Besetzern neben Neuer Heimat und Kirche der Feind Nummer drei: die Wohnungsbaugesellschaft Grundag, Besitzerin mehrerer heruntergekommener Grundstücke am östlichen Rand des Platzes, darunter auch die halbverfallene »Ruine«. Die Architektengruppe Tonon und Brenner, die eine Jury zum Gewinner eines 1982 ausgeschriebenen Wettbewerbes kürte, schlug den Erhalt dieser teilbesetzten Altbauten inklusive »Ruine« und eine eher behutsame als großkotzige Neugestaltung des Winterfeldtplatzes vor. Doch nur die AL fand den Entwurf gut, während die anderen Parteien 1984 im Bezirksparlament über die »unzureichende Randbebauung« moserten und den Architekten nicht mehr als einen Beratervertrag anboten. Das sei ein »Bauskandal«, schimpfte der »Bund Deutscher Architekten«, »der zu juristischen Folgen führen muß«. Standen hier Parteispenden der an geschlossener Randbebauung interessierten Grundag an FDP und CDU im Hintergrund? fragte 1987 der 'Stichel‘, das Schöneberger Presseorgan der AL.

Inzwischen sind die Fakten respektive Platten gesetzt: Das Tiefbauamt machte den Ort nach vorübergehender Vertreibung der rund 250 Markthändler zum Roten Platz. Die Ummodellierung des gesamten Areals ist immer noch nicht abgeschlossen, doch dank ständigen Protests von Anwohnern und Bürgerinitiativen sah man in manchem vom geplanten Neoprunk ab: Der Kiosk im Norden des Platzes wurde nicht neu gebaut, sondern nur renoviert, und das Grundstück der »Ruine« kaufte der Senat, »Stattbau« spielt hier inzwischen den alternativen Sanierungsträger. Vor dieser immer noch wilden Kulisse paradieren nun wie eh und je an den Markttagen Mittwoch und Samstag die Radieschen, Tomaten, Bananen und Kiwis auf dem Roten Platz von Schöneberg. Ute Scheub