Tutti und Frutti, Ich und Du, Sie und Er

Debilisierung, Normierung, Exhibitionismus: Sex in den Quantitätsmagazinen und Qualitätsmedien  ■ Von Detlev Kuhlbrodt

„Kann Dir sagen, will Dir ja bloß sagen, Bilder ankieken ist nichts. Davon kann ich Dir'n Lied singen. Das verdirbt einen Mann, jawoll das verpfuscht Dich. Mit Bilderankieken fängt es an, und nachher, wenn Du willst, dann stehst Du da, dann geht nichts mehr auf natürliche Art und Weise.“

Alle paar Jahre versucht man ohnmächtig, den in regressiver Heiterkeit dahinplätschernden Sexdiskurs zu kommentieren. Seltener ist das spaßig, wenn man zum Beispiel einen eigenen Bericht, der als Halbfake gedacht war und eine angebliche No-Sex-Welle propagieren sollte, plötzlich in einem ganz ernsthaften Buch (Lob der Prüderie, Erik Galwert-May) als Beleg für dessen Thesen zitiert findet; manchmal seltsam, wie das zwischen verinnerlichter Repression und Poesie schwankende Graffitifragment an einer Kabeltrommel in Köpenick — „die Ficker, die mir mal gerne eine ficken“ stand da, sonst nichts — meist jedoch ist die Beschäftigung mit den Verlautbarungen deutscher Sexualität eher gruslig.

Fürchterlich sind die RatgeberInnen im Rundfunk, Fernsehen und den Zeitungen, die „Sex-ABCs“ von 'Super-Illu‘ bis 'Bravo‘ — wobei 'Bravo‘ noch die angenehmere Variante darstellt. Gräßlich sind die üblichen Pin-Ups und Nacktfotos in den Quantitätsmagazinen mit ihren immergleichen deprimierend-infantilen Beitexten oder die seltsam-debilen Nacktfilme der privaten Fernsehanstalten. Mit ihren Normierungsimperativen enteignen die Texte die individuellen Wünsche und Sehnsüchte nach den üblichen Mustern: Die Frau beichtet, der Mann erliegt seinem aufgestauten Trieb, und alles ist klasse. Als Propaganda bewahren nur die Bilder einen letzten Rest an Würde: das Bild des individuellen Körpers, der sich dem Betrachter als Ware zur Verfügung stellt, verbirgt noch seine Nacktheit (und entzieht sich so dem Besitz) in der simplen Ausziehchoreographie von Tutti- Frutti usw. Und der Mitternachtsstrip bei RTL, in dem die Männer und Frauen auftreten, die bei Tutti- Frutti wohl abgelehnt wurden, scheint nicht nur einen kleinen finanziellen, sondern auch einen souverän-exhibitionistischen Gewinn für die Akteure abzuwerfen. Immer hat man den Eindruck, als würden die strippenden Durchschnittsvierziger vor ihrer Schrank(lein)wand am liebsten auch noch ihr Höschen abwerfen.

Von einer „infantilen und alle Generationen erfassenden Vergnüglichkeit“ sprach vor kurzem ein greiser sympathischer Ex-Programmdirektor der ARD und meinte die Mischung aus Sexblödsinn und Unterhaltungsshows. Den Sexsendungen in den Qualitätsmedien aber, insbesondere den liberalen Psycho- und Beratungsprogrammen, fehlt sogar noch die Vergnüglichkeit. Wenn mir besonders lebensmüde zumute ist, schaue ich mir gern noch einmal eine Videoaufzeichnung von Ich&Du (N3) an. Irgendwann im Dezember vergangenen Jahres beschäftigte sich die Psychosendung des Norddeutschen Rundfunks mit BürgerInnen, die keine Lust mehr aufeinander haben. Das ist böse, deshalb sollten die zumeist lila gekleideten Betroffenen in einer Art Live- Therapie von einem sanft alternativen Lehrertyp in Pink und seiner Kollegin beispielgebend normalisiert werden. Sanft erinnerte die Sendung an das Zwangsmuster eines öffentlichen Schauprozesses. Zur Gaudi der Zuschauer also wurde ein Pärchen in die Mitte eines Therapiekreises gebeten und die Diplompsychologen suchten zu erkunden, wieso die denn nicht mehr miteinander schlafen würden.

Wenn seine Hand näher kommt

„Die große Liebe war es nicht“, gestand Katharina ihrem Vernehmer, und: „Ich würde gerne wollen, daß Volker ein Mann wäre.“ Für den Mann, dem im Scheinwerferlicht der letzte Rest an Würde weggefilmt wurde, war Katharina jedoch die „Idealfrau“. Sanft und etwas gestört übte er sich in Selbstkritik. Dann nahm der Therapeut irgendwann die Hand des Mannes und begann sie fragend auf's Knie der Frau zu legen: „Was spielt sich in Ihnen ab, Katharina, wenn seine Hand näher kommt.“ — „Ich würde lieber sagen, laß es jetzt“, antwortete Katharina. Laut und deutlich mußte Volker dann der gesamten Fernsehöffentlichkeit sagen: „Mir fehlt bei dir die Zärtlichkeit.“ Dann fiel er ins Schweigen, während seine Frau ihrem Vernehmer enthüllte, daß sie schon gern jemand haben täte, „der mich sexuell ausfüllt“, und daß der einmalige Seitensprung „wunderbar“ gewesen sei. Während Katharina ihrem Volker empfahl, doch auch fremdzugehen, empfahl die Runde zunächst eine Trennung, um am Ende dann doch Gnade walten zu lassen: Sie sollten eine „Paarberatung“ aufsuchen, wo sie ihre „Probleme besser vertiefen“ könnten.

Das ist Fernsehen, das ist Action, das sind die lustigen Nachrichten aus dem beschädigten Leben. Michel Foucault hätte seine grimmige Freude, dachte ich grimmig, doch dann entdeckte ich im Köpenicker Erotikshop „Sie und Er“ ASC, die „Autosexcassette“. Die Cassette — Titel: „Beim Masseur“ — ist so redundant, so abgrundtief bescheuert, daß es eigentlich schon wieder recht spaßig war:

Er: (überrascht, onkelhaft) Ja, was seh' ich denn da? Sie haben sich ja schon richtig ganz frei gemacht. Sie sollten doch nur den Rücken freimachen.

Sie: (jenseitig) Ja, ich weiß nicht. Ich bin heute. Mir ist so.

Er: Ich bin ja ganz überrascht. Ja, da kann ich mich ja auch nicht beherrschen, wenn ich Sie so nackt liegen seh. Es hat keiner was vom Höschenausziehen geredet, aber wenn Sie's nun einmal aus haben, da lassen Sie's aus. (...) Das ist ja Wahnsinn, äh Claudia — ich darf doch Claudia sagen?

Sie: (verrucht) Natürlich. Möchtest du dich nicht auch ein bißchen freimachen? Das ist doch viel schöner.

Er: (gibt sich geschlagen) Na gut, dann ziehe ich mich aus. Ich meine, wenn du das haben willst. (...)

Sie: Du hast einen so aufregenden Körper. Man sieht, du machst Bodybuilding.

Er: Ja, schon zwei Jahre.

Sie: Sehr anziehenden Körper.

Er: Sehr erotisch. Ich weiß.

Sie: Braungebrannt und so eine samtweiche Haut.

Er: Ja, ich pflege auch meine Haut. Ich kann mir das als Masseur nicht leisten. Als Masseur muß ich mit gutem Beispiel vorangehen. (...) Aber so eine Frau, so eine hübsche, habe ich ja noch nie massiert, beziehungsweise verwöhnt.

So wird dann noch ungefähr eine halbe Stunde lang weiter massiert bzw. verwöhnt und gestöhnt und seltsam gequietscht, und die Vorstellung, daß es sich vielleicht tatsächlich so anhören würde in bundesdeutschen Schlafzimmern, stimmte irgendwie doch vergnüglich.

(Alfred Döblin: „Berlin Alexanderplatz“)