„Informationen“ aus Hitler-Reden

In Duisburg hat der Prozeß um den Brandanschlag gegen libanesische Kinder begonnen/ Verbindung der Angeklagten zur rechtsradikalen Szene/ Verbrechen war angeblich nicht geplant  ■ Aus Duisburg Bettina Markmeyer

Die Saados betreten mit ihren sechs Kindern den Gerichtssaal erst, als die Verhandlung schon begonnen hat. Zeibeide Saado, die Mutter, zieht ihrer Tochter Zeinap den Pullover aus. Zeinaps Oberarme sind von furchtbaren Brandnarben entstellt.

Die Mutter zerrt das Mädchen, das sich nach Kräften sträubt, vor die Anklagebank. „Die sollen sehen, was sie meinen Kindern angetan haben“, ruft Vater Faozi von hinten. Zeibeide Saado spuckt aus. Einer der Anwälte der Angeklagten beantragt, die Familie vom Prozeß auszuschließen. Das Gericht lehnt den Antrag zwar ab, droht aber den Saados, die als Nebenkläger am Prozeß teilnehmen, daß sie bei einer weiteren „Entgleisung“ den Saal verlassen müßten. Ihr Anwalt, Michael Gödde, gibt zu bedenken, daß die Reaktion angesichts des Geschehenen wohl zu verstehen sei. Die Familie verfolgt den Prozeß ab da ohne einen Laut.

Seit Dienstag verhandelt die Jugendstrafkammer des Duisburger Landgerichts gegen André C., Jens G. und Volker L., die gestanden haben, in der Nacht zum 3. Oktober 1991 im westfälischen Hünxe drei selbstgebastelte Molotowcocktails gegen die Asylunterkunft an der Dorstener Straße geworfen zu haben. Die Anklage lautet auf gemeinschaftlich begangenen versuchten Mord, schwere, menschengefährdende Brandstiftung, Waffenbesitz und Sachbeschädigung. Allen dreien wird verminderte Schuldfähigkeit zugestanden, weil sie alkoholisiert waren. Ein Brandsatz durchschlug eines der Fenster. Das Zimmer, in dem vier Kinder der libanesischen Flüchtlingsfamilie schliefen, brannte aus. Die damals achtjährige Zeinap Saado erlitt lebensgefährliche Verbrennungen an Armen, Beinen und am Körper, ihre Schwester Mokadass Verbrennungen zweiten Grades, zwei weitere Kinder wurden leicht verletzt.

Folgt man nun den Angeklagten im Duisburger Prozeß, dann haben sie weder die Idee zu dem Brandanschlag gehabt, noch haben sie ihn geplant. Sie haben zwar Benzin in Flaschen abgefüllt, aus einem alten Lappen Lunten gerissen und in die Flaschenhälse gestopft, aber sie haben dabei nicht über den Anschlag geredet. Und noch als sie vor der Asylunterkunft standen und die Molotowcocktails schmissen, haben sie nicht gewußt, was sie tun. Sie haben nicht gewußt, daß ein Molotowcocktail eine Wohnung in Brand setzen kann, sie haben sich nicht vorstellen können, daß dabei Menschen verletzt oder getötet werden können.

Sie haben beim Werfen „gar nichts gedacht“, und sie haben nicht gesehen, wo sie ihre brennenden Benzinflaschen hingeschleudert haben. Sie würden es nicht wieder tun, und sie haben auch überhaupt nichts gegen Libanesen. Und gegen Ausländer, die in der zweiten oder dritten Generation hier leben, haben sie auch nichts, nur „gegen die Türken“. Und eigentlich haben sie auch nichts gegen „Asylanten“ — wer „wirklich Grund hat, kann hier Asyl finden“, meint der Angeklagte Volker L. großzügig auf eine entsprechende Frage des Richters — nur „gegen Scheinasylanten müßten die Politiker was tun“.

Alle drei Angeklagten sind Lehrlinge, kommen aus Hünxe und Dinslaken, kommen aus unauffälligen Familien und gehörten der dortigen Skin-Szene an. Volker L. begann im Alter von 15 Jahren, Bomberjacken und Springerstiefel zu tragen, zunächst als Provokation. Er nahm Kontakt zur neonazistischen FAP auf, trat ihr aber nicht bei, sondern steht nach eigener Auskunft den „Republikanern“ nahe.

Seine Eltern allerdings bewahrten Schallplatten mit original Hitler- und Goebbels-Reden zu Hause auf, die Volker L. vor Gericht als „Informationsmaterial“ bezeichnete. Nachdem er sich offenbar des öfteren am heimischen Plattenspieler „informiert“ hatte, fand er allerdings, so L., „Geschmack an der Sache“. Zweimal feierte er im Garten mit Freunden und Lagerfeuer Hitlers Geburtstag. Auch André C.s Vater beging diesen Tag regelmäßig, sein Sohn gehörte aber in der rechtsradikalen Hünxer Szene eher zu den Mitläufern, wie die beiden Mitangeklagten übereinstimmend bekundeten. In Jens G.s Jugendzimmer fand die Polizei bei einer Durchsuchung Hakenkreuze, rechtsradikale Sprüche an den Wänden und FAP-Material. Alle drei begeisterten sich für „doitsche“ Musik.

Am fraglichen Abend waren die drei zusammen auf der Fete eines Freundes gewesen, hatten einiges getrunken und sich ansonsten gelangweilt. Gegen Mitternacht fuhren sie zu Volker L.s Wohnung. „Irgendwie“ sei man dann in die Garage gelangt, wo „Mofa-Sprit in Flaschen abgefüllt wurde“. Dann nahm jeder seinen Molotowcocktail, André C. fuhr die drei in seinem Wagen in die Nähe der Asylunterkunft und parkte den Wagen fluchtbereit. André C. will seinen Brandsatz absichtlich nur gegen ein Auto geworfen haben, während die beiden anderen ihre Molotowcocktails gezielt gegen die Giebelwand des Heims schmissen. Dann seien sie ohne zu sehen, wo die Flaschen landeten, weggerannt, ohne Licht zu Volkers Wohnung gefahren und dort eingeschlafen.

Volker L. hatte noch bei den polizeilichen Vernehmungen angegeben, Hoyerswerda habe ihn „beeindruckt. Vielleicht ist die Idee (zu dem Hünxer Brandanschlag, die Red.) ja da schon geboren worden.“ Vor Gericht hingegen sagt L.: „Die Idee war plötzlich da.“ Auch Jens G. behauptet: „Dat lief einfach ganz automatisch.“ Alle drei Angeklagten sind gestern sichtlich bemüht gewesen, einen Zusammenhang zwischen ihrer politischen Einstellung und dem Anschlag zu leugnen. Sie heben hervor, daß zu ihrer Clique auch ein Pole und ein Italiener gehörten, daß zwei von ihnen vor einiger Zeit mit einer libanesischen Familie „tofte“ befreundet waren und daß sie an jenem Abend einfach zuviel getrunken hätten, um sich genau an alles zu erinnern. Der Prozeß wird am 4. und 5. Mai fortgesetzt.