Charismatischer Gitarrenrock aus Manchester

■ »James« spielten am Dienstag abend mit schrägem Charme drängende Hymnen im Quartier Latin

Die nordenglische Band besitzt den Ruf, »Manchesters bestgehütetes Geheimnis« zu sein. So hatte sich denn auch eine recht intime Fanschar versammelt, die genau wußte, was sie von James zu erwarten hat: Aus dem einstigen Studenten-Quartett, das unbeholfenen Gitarrenrock vor sich hin schrammelte, ist im Laufe von neun Jahren eine siebenköpfige Gruppe entwachsen, die nun ausgereiftes Gespür für drängende Hymnen zeigt.

Zu Beginn mühen sich jedoch erst mal fünf junge Männer in modisch eleganten Jacketts redlich mit nichtssagenden Rocksongs ab: Man hatte die Tomtones gesehen und konnte sie getrost wieder vergessen. Nach einer quälend langen Umbaupause entern jedoch James die Bühne und haben vom ersten Ton an den Saal in ihrer Hand. Dies ist um so erstaunlicher, als die Engländer eigentlich völlig introvertiert und in sich versunken ihre weit angelegte Musik ausleben, die viel Raum läßt für Zwischentöne und die sich mit enormer Dynamik und Spaß am eigenen Klang ausgiebig entwickeln darf.

Überhaupt nicht wichtig nehmen sich selbst diese sieben Typen auf der Bühne, die durch ins Publikum gerichtete Scheinwerfer zumeist nur schemenhafte Silhouetten bleiben. Die Zuhörerschaft ist der Star des Abends, denn zum stürmenden und zugleich sphärischen Gitarrenbeat streifen die blendenden Spots ständig durch das Publikum und malen bei folkloristischen Anleihen transparente Strahlenbündel in die verräucherte Luft.

Wenn das Septett um den ehemaligen Dramaturgiestudenten und Sänger Tim Booth dann mit Geige, Akustikgitarren und Akkordeon neue Ansätze bei der Verquickung von Folk mit lärmenden Gitarrenwänden erprobt, schwelgt die ganze Zuhörerschaft elegisch im wohlklingenden Radau. Mit ihrer ekstatischen und tranceartigen Tanzmusik haben sich James häufig gutmeinende Vergleiche mit den Simple Minds eingehandelt, doch Jim Kerrs schwülstiges Prediger-Pathos fehlt dem charismatischen James-Frontman Booth gottlob völlig. Statt dessen zappelt er als knochenlose Gummipuppe über die Bühnenbretter oder stellt sich wie angewurzelt vor den Mikrophonständer und schraubt seine Stimme im Duell mit getragenen Melodielinien des Trompeters Andy Diagramm vom grummelnden Baß bis hinauf in luftige [aber immer noch verräuchert? d. säzzer] Höhen.

Wenn die Band diese wohlig prickelnden Klänge mit überschäumender Lebensfreude zu einem immer dichter und immer ausufernder gepeitschten Beat vorantreibt, ist die akustische und optische Schmerzgrenze beim Publikum fast erreicht — viele können dem Stakkatogewitter und den Blitzlichtorgien dann zumeist nur noch mit geschlossenen Ohren und Augen folgen. Doch solche Heftigkeit, die Musiker und Zuhörer gleichermaßen strapaziert, zieht stets in ausgewogener Balance versöhnliche Beruhigung nach sich.

Nach eineinviertel Stunden gemeinsamer Erschöpfung schließlich ist klargeworden, wieso diese Manchester-Jungs in England selbst Fußballstadien in eine große Party verwandeln: Mit ihrem linkischen und schrägen Charme spielen James schlicht und einfach ihre Musik. Und wenn das Ganze dann noch den berühmten »Tick« Eigenständigkeit besitzt, bleibt die vage Ahnung, eine hierzulande noch recht unbekannte Band gehört zu haben, die bald zur internationalen Spitze gehören wird. Peter Bickel