Die Revolution in Blockformation

■ Zu den »revolutionären« 1.-Mai-Aktivitäten treten Berlins Autonome getrennt an/ Ossi-Autonome auf Distanz zu ML-Sekten/ Kein Fest auf dem Lausitzer Platz, dafür dezentrale Feiern am Nachmittag

Kreuzberg. »Ohne feste revolutionäre Führung und Organisation wird es keine Revolution geben«, heißt es im Aufruf der »Revolutionären Internationalistischen Bewegung« (RIM) zur Kreuzberger Demo am 1. Mai. Will man diesem Satz glauben, dann fällt der Umsturz in diesem Jahr ins Wasser. Denn nicht einmal auf eine gemeinsame Route der traditionellen »revolutionären Demo«, die um 13 Uhr am Oranienplatz beginnen soll, konnten sich Berlins autonome Gruppen einigen.

Während die dogmatische RIM für eine Demo zum Brandenburger Tor mobilisiert, rufen unabhängige Gruppen zu einem Marsch durch Mitte, Kreuzberg und Neukölln zum Kottbusser Tor auf. Es ist zu erwarten, daß die Demo erstmals pünktlich starten wird — welche Gruppe als erste vom Oranienplatz losmarschiert, kann den weiteren Weg bestimmen. Auf einer »Vollversammlung« im Mehringhof sollte gestern abend noch mal über einen Kompromiß gesprochen werden.

Zu weiteren Streitigkeiten im Vorfeld kam es zwischen Autonomen aus Ost und West. Es gebe einen »Abstand in der Art, mit Konflikten umzugehen«, bemerkt der Aufruf zum eigenen »revolutionären Ostblock«: »Während wir uns aus unserer Geschichte heraus kein Zusammengehen mit doktrinären ML-Sekten wie RIM oder TKP/ML vorstellen können, beschwert sich ein großer Teil der Wessis maximal über nichteingehaltene Absprachen.« Angesichts des Lebens in einer westdeutschen »Kolonie« habe man »keine Lust«, sich unter den Westlinken »zu verlaufen«. Unter dem Motto »Der Osten schlägt zurück« ist um 20 Uhr ein Kiezumzug durch Prenzlauer Berg vom Helmholtzplatz zum Kollwitzplatz geplant.

»Die Interessen der unterschiedlichen Teile und Gruppen von uns stehen sich oft genug gegenüber«, heißt es selbstkritisch in einem Flugblatt »einiger Berliner Automer«. In diesem Demoaufruf werden eigene Fehler eingestanden. So sei es weder gelungen, den Anschluß der DDR zu verhindern, noch Mieterhöhungen einen Riegel vorzuschieben. Dennoch gebe es keinen Grund, den Kampf einzustellen: »Wir zählen nicht zu denjenigen, deren Vorstellungen eines revolutionären Prozesses nach dem Mauerfall zusammengebrochen sind.«

Angesichts der offensichtlichen Krise der autonomen Politszene scheint die Randale in diesem Jahr in den Hintergrund zu treten. Bei einer Umfrage in der Mehringhof-Kneipe »Ex« wurde Krawall zwar nicht von vornherein verworfen, als Ritual aber kaum noch befürwortet. Steinwürfe und Mollis dürften am 1. Mai wohl eher von Neuberlinern ausgehen, die nachholen wollen, was sie in Böblingen und Pfaffenhofen nur im Fernsehen erleben konnten, beziehungsweise von deutschen und türkischen Kiez-Kids, die sich mal wieder austoben wollen.

Nicht geben wird es in diesem Jahr das traditionelle Straßenfest am Lausitzer Platz, das früher von der AL mitorganisert worden war. Dem Vernehmen nach verzichtete die Szene auf die Organisation, um einen Versteckplatz für Randalefreunde zu verhindern und damit den obligaten Tränengasnebel zu umgehen. Unklar ist allerdings, ob die als Alternative angekündigten dezentralen Straßenfeste auch stattfinden werden. Bislang wird lediglich für ein lesbisch-schwules Fest in der Muskauer Straße geworben. Ob auch auf der Oberbaumbrücke gefeiert wird, war gestern unklar. Einige Autonome fanden den Standort »strategisch ungünstig«. Micha Schulze