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Rio und die „Angst des Nordens“

In Malaysia trafen sich die Länder der dritten Welt zum letzten Vorbereitungstreffen vor der Umweltkonferenz/ Schuldzuweisungen und Verteidigung der Souveränität/ Debakel in Rio absehbar  ■ Aus Tokio Georg Blume

Das letzte Vorbereitungstreffen der Entwicklungsländer für den Umweltgipfel in Rio de Janeiro ging gestern in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur nach dreitägigen Beratungen zu Ende — doch die 53 Teilnehmerstaaten fanden zu keinen neuen Lösungsvorschlägen. Für die Anfang Juni einberufene UNO-Umweltkonferenz droht ein Debakel.

Unnachgiebig und herausfordernd begegneten sich in Kuala Lumpur die Positionen zwischen Arm und Reich. Wie erwartet, gelang es dem malaysischen Premierminister Mohammed Mahathir, die Wortführerschaft des Südens zu übernehmen. Dabei zog er allerdings seine Drohung, Rio zu boykottieren, zurück. „Die Angst des Nordens vor der Umweltzerstörung“, begründete Mahathir seine Streitlust, „gibt dem Süden ein Druckmittel, welches es vorher nicht gab.“

Die gestern verabschiedete „Erklärung von Kuala Lumpur“ weist dem Norden die Hauptschuld für die weltweite Umweltzerstörung zu. Die dritte Welt fordert mehr Geld und Technologie, um damit eine umweltschonende Wachstumspolitik im Süden zu ermöglichen. Vor allem sollen die Hilfsgelder in Sachen Umwelt nicht wie bisher durch die von den reichen Ländern kontrollierte Weltbank fließen. Die Erklärung von Kuala Lumpur fordert statt dessen einen neuen globalen Umweltfonds, der von allen Staaten „transparent und demokratisch“ verwaltet wird.

Keine der bisherigen Streitfragen wurde gelöst. Denn der Norden will sich die Schuld an der weltweiten Umweltzerstörung nicht aufladen. Und der Süden ist nicht bereit, zumindest eine moralische Verantwortung für die Flurschäden im eigenen Land zu übernehmen.

Wo moralisch nichts auf einen Nenner paßt, haben die Pragmatiker das Wort. Schon in Kuala Lumpur ging es hinter den Kulissen vor allem ums Geld. Fraglich ist bisher, ob es in Rio überhaupt zu verbindlichen finanziellen Absprachen kommen wird. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die USA. In Kuala Lumpur bestätigte der US-amerikanische Chefdelegierte Robert Ryan, daß er keine Basis „für irgendwelche konkrete Zahlen in Rio“ erkenne. Zuvor hatte die UNO den Industrieländern eine jährliche Hilfssumme von 125 Milliarden Dollar für Entwicklung und Umweltschutz abverlangt. Ryan aber bezweifelte am Dienstag, ob die Entwicklungländer „überhaupt in der Lage seien, Gelder in dieser Höhe zu absorbieren“.

Nord und Süd sind sich bislang insbesondere auch über den Modus der Zahlungen nicht einig. Die Industrieländer wollen zusätzliche Mittel für den Umweltschutz nur über die „Global Environmental Facility“ der Weltbank in Umlauf bringen — einer Institution, in der sie selbst über die zu unterstützenden Projekte entscheiden. Der Süden will gerade das verhindern.

Hier allerdings zeichnete sich in Kuala Lumpur ein möglicher Kompromiß ab. So könnte die Leitung des Weltbank-Fonds für Umwelt ausnahmsweise paritätisch aus Vertretern von Nord und Süd zusammengesetzt werden. Doch auch diese Verfahrensregelung soll erst in Rio entschieden werden.

Die USA machten in Kuala Lumpur erneut klar, daß mit ihrer Unterschrift für eine völkerrechtlich verbindliche Klimakonvention zur Stabilisierung von CO2-Abgasen in Rio nicht zu rechnen ist. Und die dritte Welt wiederholte, sie werde keiner Einschränkung ihrer Souveränität aufgrund der Umweltpolitik zustimmen. Das wiederum stellt die völkerrechtliche Verbindlichkeit der für Rio geplanten Artenschutzkonvention in Frage. Denn dabei geht es natürlich um internationale Eingriffe zum Erhalt überlebensbedrohter Arten, wie etwa einigen Tropenhölzern in Malaysia.

Malaysia schlägt nun eine andere Lösung vor: Premierminister Mahathir möchte bis zum Jahr 2000 „mindestens 30 Prozent der Landoberfläche der Erde begrünen“. Wer weniger als 30 Prozent Waldfläche aufweist, soll an grünere Länder bezahlen. Mit immer noch siebzig Prozent Waldfläche würde Malaysia dann zu den Empfängerstaaten gehören.

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