Von Leipzig nach Cottbus ganz ohne Streiks

■ In Ostdeutschland arbeitet der öffentliche Dienst ganz normal... und trotzdem kommt man nicht voran/ Eine Bahnfahrt endet da schon mal in der Telefonleitung/ Von den Mühen des Neuaufbaus

Leipzig (taz) — Wir in den neuen Bundesländern sind fein raus. Bei uns fahren die Straßenbahnen und Busse, wir können unsere Briefmarken noch im Postamt kaufen und jeden Morgen freudig zum Briefkasten eilen in der Gewißheit, dort auch etwas zu finden außer den Sonderangeboten vom Drogeriemarkt.

Und abends gucken wir dann Fernsehen und freuen uns klammheimlich über die Streik- und Staumeldungen in den Altbundesländern. Endlich haben wir unsere Mauer wieder. Nix rübermachen. Die da drüben stehen und wir fahren! Über unsere Tarife reden wir dann später — erst mal freuen wir uns, wie gehabt.

Mit dem sicheren Gefühl, alles funktioniert, rufen wir am Leipziger Hauptbahnhof an und wollen ein Ticket von Leipzig nach Cottbus buchen. Obwohl es weder Mittags- noch Nachmittagspausenzeit ist, die Leitung frei und die Nummer hundertprozent die richtige ist, fliegen wir nach den ersten Freizeichen bei der Zugauskunft aus der Leitung.

Schließlich knirscht es einmal heftig und — Freizeichen, eine Minute, zwei Minuten, fünf Minuten. Da Geduld fast noch wichtiger ist als eine Plastikkarte für den Geldautomaten, rufen wir geraume Zeit später noch einmal an. Das Ergebnis ist das gleiche.

Schließlich wählen wir in neugewonnener Flexibilität den Fahrkartenschalter am Leipziger Hauptbahnhof an. Der Mensch am anderen Ende der Leitung klärt uns sichtlich entnervt darüber auf, wie gänzlich fehlgeschaltet wir bei ihm seien, und gibt uns besagte Nummer der Zugauskunft. Auch auf unseren äußerst höflichen Hinweis, just niemand melde sich, wird der Beamte unwirsch und klärt uns über die einzelnen Zuständigkeiten auf. Punktum — wir nehmen wieder mit der Nummer der Zugauskunft vorlieb.

Nach mehrmaligen Versuchen meldet sich jemand. Wir meinen die Stimme zu kennen, und ohne Zweifel ist es der Mann vom Fahrkartenschalter. Wir zeigen uns überrascht, überschütten ihn mit Fragen.

Er habe eben bei der Zugauskunft Vormittagspause gehabt, sagt er völlig selbstverständlich. Ist der Mann schizophren? Wir bitten ihn, uns doch einen Platz im Zug nach Cottbus zu reservieren, wann sei uns eigentlich auch schon egal.

Plötzlich wird der Beamte wütend, faucht durchs Telefon: Ob wir es denn immer noch nicht verstanden hätten. Hier sei die Zugauskunft. Die Nummer des Fahrkartenschalters hätten wir doch bereits. Da müßten wir dann in einer Stunde wieder anrufen. Jetzt hat er Mittagspause. Wie gut, daß Beamte nicht streiken dürfen. Nana Brink