Zerstreuter Professor auf dem Rücksitz

■ Ganz Berlin in einer Taxe (12): Taxifahren ohne Ehefrau ist fast nicht zu schaffen

Funkauftrag: Fasanenstraße, Hotel Kempinski. Fahrgast bitte unbedingt ansprechen, ob er Prof. Sch. ist. Kurz danach, ein alter Herr schlurft aufs Auto zu: Guten Tag, waren Sie für mich bestellt? Ja, ja, der bin ich, dann hat alles prima geklappt, war mir nicht sicher, ob ich eine Taxe vorbestellt hatte oder es nur vorhatte gestern. Dann fahren Sie mich bitte ins ICC. 200 Meter weiter: Halt, halt, so halten Sie doch, hatte ich beim Einsteigen nicht einen Schirm dabei? Nein? Wie peinlich, bin ich wirklich nur mit Mappe ins Auto gestiegen? Sehen Sie doch mal nach! Unterm Sitz liegt er auch nicht?

Was meinen Sie, ins ICC regnet's nicht rein, und der Halteplatz ist direkt im Keller? Im Prinzip, meine Dame, haben Sie recht, aber den Schirm hatte ich mir gestern dort ausgeliehen. Also, fassen wir zusammen, wenn ich wirklich keinen Schirm beim Einsteigen dabei hatte, müssen wir zurück! Er kann dann ja nur in meiner Suite sein.

Zurück vorm Kempinski: Ich lasse meine Mappe hier, bitte warten Sie. Wie bitte? Ich soll meine Mappe lieber mitnehmen? Aber meine Dame, ich vertraue Ihnen doch! Wie? Mir könnte ja schon vorher etwas abhanden gekommen sein, was ich erst nach der Fahrt feststelle? Na, hören Sie mal, für wen halten Sie mich, aber wenn Sie darauf bestehen, bitte sehr!

Fahrgast steigt aus, ignoriert seine Mappe auf dem Rücksitz, öffnet schwungvoll die Beifahrertür und klemmt sich meine Butterbrotmappe (auch schwarz) unter den Arm. Entnervt lasse ich ihn laufen.

Zehn Minuten später kommt er zurück: Sagen Sie mal, hatte ich denn wirklich keinen Schirm, als ich einstieg? Nein? Oben ist er auch nicht! Meine Butterbrote fest und entschlossen gegen eventuelle Hungerleider im Griff, quält er sich wieder ins Auto. Es ist auch zu dumm, daß meine Frau nicht mitgekommen ist. Alles muß man alleine regeln.

Na, dann muß ich eben der netten jungen Dame von gestern den Schirm ersetzen. Was kostet denn ein Schirm in Deutschland? 10 bis 20 Mark? Gut, ich werde ihr 20 geben. Meine Frau wäre jetzt losgegangen und hätte preiswerten Ersatz besorgt. Nun gut, auf jeden Fall werde ich als erstes der Dame den Schirm vergüten, wie sieht das denn sonst aus.

Fahrgast fummelt einen 20-Dollar-Schein aus der Hosentasche und sucht in meiner Mappe nach einer Büroklammer, um den Schein ans Revers zu heften. Eine passende Gelegenheit, den Irrtum aufzuklären. Galant überspielt er die Situation. Wie spät ist es? 10.40 Uhr? Oh, da haben wir ja noch etwas Zeit, hätte ich gar nicht gedacht. Mein Vortrag beginnt, warten Sie mal, ich schau mal nach, hab' ich alles parat. 10.30 Uhr, da können wir noch unterwegs anhalten und ein Vergrößerungsglas besorgen. Habe leider meine Brille in Amerika gelassen.

Was meinen Sie, ich bin schon zehn Minuten zu spät? Warum, Sie haben doch selber gesagt, ich schau' lieber noch mal nach. Also, hier. Um Himmels willen, da haben Sie recht, da haben wir ja gar keine Zeit mehr, es handelt sich schließlich um meinen eigenen Vortrag. Alles muß man aber auch alleine bedenken, als hätte ich nicht genug um die Ohren. Hätte ich gewußt, daß meine Frau nicht mitfährt, ich hätte mich doch nie auf diesen Kongreß eingelassen. Wäre ich bloß zu Hause geblieben...

Wo das ist? Weit weg, meine Dame, weit weg. In Kalifornien, wenn Ihnen der Name etwas sagt. Ich leite dort eine Spezialklinik für Alzheimer-Patienten, wenn Sie wissen, was das ist. Ich arbeite immer noch 60 Stunden die Woche. Ob ich nicht bald aufhören will? Nun ja, wäre nicht schlecht, aber vermutlich ginge ich meiner Frau furchtbar auf die Nerven, wenn ich den ganzen Tag zu Hause rumsitzen würde. Erwin, du mußt ja nicht operieren bei diesen Leuten, also kannst du auch keine Fehler machen, und die Leute brauchen dich.

Was bin ich Ihnen schuldig? 19,80 Mark? Ist aber teurer als gestern. Ach ja, wir mußten ja wegen des Schirmes zurück, aber Hauptsache, ich habe ihn gefunden. Barbara Freisleben