Heimat aus dem Videorecorder

■ Eine Studie über türkische Videos mit fundamentalistisch-religiösem Inhalt

Türkische Videos mit fundamentalistisch-religiösen Inhalten erleben in Deutschland zur Zeit einen Verkaufsboom. Vor dem Hintergrund, daß der Videokonsum einer türkischen Familie durchschnittlich bei zwei bis drei Stunden pro Tag liegt, hat das Arbeits- und Sozialministerium von Nordrhein-Westfalen eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Die Untersuchung wurde von dem in Essen beheimateten Zentrum für Türkeistudien erstellt. Die Studie will auf die „Gefahren“ des gestiegenen Konsums solcher Videos hinweisen.

Insgesamt etwa 6.000 türkische Filme befinden sich nach Aussagen der Videovertriebsfirmen auf dem Markt. Die Zahl der wöchentlichen Neuerscheinungen sei aber durch den Konkurrenzdruck der Kabel- und Satellitenprogramme in türkischer Sprache von wöchentlich fünf bis sieben Titeln auf ein bis zwei Neuerscheinungen geschrumpft. Islamische Organisationen auf dem Videomarkt verzeichnen jedoch eine gegenläufige Entwicklung: Die mit 45.000 verkauften Kassetten pro Jahr umsatzstärkste und größte islamische Organisation „Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa“ (AMGT) registriert mehr als 4.000 verkaufte Kassetten monatlich. 1987 waren es noch weniger als 300.

Die Vereinigung macht keinen Hehl daraus, dieses Medium verstärkt als Propagandamittel nutzen zu wollen. In vielen dieser Filme gibt es klischeehafte Gegenüberstellungen von weltlichen und gläubigen Zeitgenossen. Was dem kritischen Filmbeobachter als Schwarzweißmalerei erscheint, wird bei AMGT als gelungene Umsetzung von Glaubensinhalten mit modernen Mitteln bewertet. Aber nicht nur solche „frommen Filme“ bergen nach Ansicht der Studie ein „integrationshemmendes Potential“. Auch viele andere Filme in Unterhaltungsform wie die beliebten „Arabesken“, stereotype Musikdramen vom Liebesleid beliebig austauschbarer Einzelschicksale, zeigten den Islam als „der Weisheit letzter Schluß“.

Fazit der Studie: „Die Suche nach Orientierung in einer fremden und vielfach als ablehnend empfundenen Gesellschaft erhöht die Empfänglichkeit für heimatliche Sterotypen und Leitbilder.“ Kritiker befürchten eine weitere „Abkoppelung“ der türkischen Bevölkerung in Deutschland. Die Videos verfestigten nationale, religiöse und soziokulturelle Einstellungen, die einer „Integration“ in Deutschland entgegenwirken könnten.

Doch wird manche Befürchtung am Ende der Untersuchung relativiert. Auf Dauer, lautet die Prognose, werde dieser Markt der türkischsprachigen Konkurrenz im Fernsehen nicht standhalten können. Auch würden sich die Interessen langsam zugunsten einer „europäischen Alltags- und Freizeitbeschäftigung“ verschieben. Dies sei besonders bei der zweiten und dritten Generation zu erwarten.

Die jahrzehntelang betriebene Säkularisierung verlangsame sich bisweilen, sei aber letztendlich nicht zu revidieren, unterstreicht der Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Professor Faruk Sen. In diesem Sinne schließt die Studie mit Vorschlägen zu einem Kulturdialog und einer stärkeren politischen Partizipation der Türken in Deutschland. Joachim Gerhardt (epd)