Kein Lied vom Teilen

■ Am Tag der Arbeit machen die Gewerkschaften für den Arbeitskampf mobil

Kein Lied vom Teilen Am Tag der Arbeit machen die Gewerkschaften für den Arbeitskampf mobil

Es kam, wie es kommen mußte: Heraus zum 1. Mai — der Kampftag der Arbeiterbewegung hat in diesem Jahr eine besondere Note erhalten. Da walzt sich die Streikwelle im Öffentlichen Dienst in Richtung des Bonner Kanzleramtes, doch die Arbeitgeber, allen voran Innemminister Seiters, wollen ihre Blockadehaltung noch nicht aufgeben und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die Friedenspflicht für die Beschäftigten in der Metallindustrie ist zu Ende, und die Arbeitgeber haben mit ihrem völlig indiskutablen Angebot von 3,3 Prozent mehr Lohn und Gehalt den Zeitpunkt verpaßt, den drohenden Streik nicht zu einem Flächenbrand werden zu lassen. Der Ton wird täglich rauher. Was liegt für die GewerkschafterInnen also näher, als am Tag der Arbeit kräftig für ihre Ziele zu mobilisieren. Noch einmal haben führende GewerkschafterInnen deutlich gemacht, daß die von Regierung und Arbeitgebern gewünschte Wende in der Tarifpolitik mit ihnen nicht zu machen ist. An den Tarifkonfliken, so die Argumentation, sei allein die gegenwärtig regierende Koalition schuld.

In ungewöhnlich lebhafter Manier beschwört DGB-Vorsitzender Meyer die Solidarität im Arbeitskampf. Doch als der DGB-Chef in Nürnberg ebenso schön wie ratlos versucht, den ArbeitnehmerInnen das Mai-Motto vom „Teilen“ nahezubringen, bleibt der Beifall aus. Guter Lohn für gute Arbeit — das will die Klientel der Gewerkschaften im Westen zu Recht. Jahrzehntelang haben die Gewerkschaft damit erfolgreiche Politik gemacht und dem Prozeß der „reellen Subsumtion“ der Arbeit unter das Kapital (Marx) die Solidarität der Beschäftigten entgegengesetzt. Doch die Zeiten ändern sich, und die alten Rezepte lösen die Probleme nicht mehr. Das haben auch die Gewerkschaften bitter spüren müssen: Seit Jahren leiden sie unter einer Auszehrung ihrer politischen Substanz; ihre Mitgliederstruktur hinkt dem sozioökonomischen Wandel um Jahre hinterher. Sie müssen aufpassen, nicht weiter zu einer Versicherungsgesellschaft für höhere Löhne zu verkommen. Den Gewerkschaften fällt eine wichtige Gestaltungsaufgabe zu — gerade in einer Zeit, in der Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik nötiger denn je erscheinen. Doch davon ist bis jetzt viel zu wenig zu sehen. Erwin Single