: Mitleid und Verachtung
Wie sich Japans Elite über die Unruhen in Los Angeles freut/ In Japan sind Ausländer nur „Reisende“ ■ Aus Tokio Georg Blume
Feiglinge sind sie allesamt, Nippons Politiker und Meinungsmacher. Wenn der amerikanische Präsident in Japan zu Gast ist, wie unlängst im Januar, sind sie mucksmäuschenstill. Bloß kein schlechtes Wort über den großen Bruder von Angesicht zu Angesicht. Aber wenn Los Angeles in Flammen steht und Amerika mit sich selbst zu tun hat, da auf einmal holen sie die Katze aus dem Sack.
„Wir sollten nicht nur mit Mitleid und Verachtung auf die Ereignisse in Amerika reagieren“, warnte die Wirtschaftszeitung 'Nihon Keizai‘. Doch nur wenige kümmerte solcher Rat. Seit dem Beginn der jüngsten Unruhen in den USA ist die Berichterstattung der japanischen Medien durchzogen von Überheblichkeit. Der frühere Premierminister Yasuhiro Nakasone hatte ja schon immer gewußt, warum mit Amerika nicht mehr zu rechnen ist: Das Erziehungsproblem in den USA sei deshalb so groß, dozierte er, weil es dort zu viele verschiedene Rassen gebe.
Nicht ganz so direkt, aber im Unterton verstohlen und gehässig geht Japans machthabende Klasse nun wieder über den wichtigsten Verbündeten zu Gericht und trägt mit der Abgrenzung gegenüber den USA gleichzeitig ihre neuen Ansprüche zur Schau. „Unsere größte Kraft“, wiederholte Premier Kiichi Miyazawa erst kürzlich, „ist die Homogenität unserer Gesellschaft. Wir können miteinander kommunizieren, ohne viele Worte zu machen.“
Anders ausgedrückt: Wo sich der soziale Dialog nicht von selbst versteht, verlieren Staat und Gesellschaft Kraft und Zusammenhalt. In einer Zeit, wo die Welt manchen bereits klein wie ein Dorf erscheint, ist dem sozialen Denken der japanischen Elite noch immer der Stadtstaat Sparta Vorbild.
Die ersten Leidtragenden des unterschwelligen Staatsrassismus sind die in Japan lebenden Ausländer. Viele von ihnen, vielleicht eine Million, kamen in den vergangenen Jahren nach Japan, um in dem letzten großen Industrieland der Welt, wo noch Arbeitskräftemangel herrscht, ein sicheres Auskommen zu suchen. Zunächst wurden die Gäste aus Ländern wie Thailand, Indonesien und dem Iran dankbar aufgenommen. Denn in den Zeiten des Booms fehlte es gerade den kleinen und mittleren Betrieben an billigen Arbeitskräften. Ganze Branchen, wie etwa die Zulieferer in der Stahlbranche, sicherten mit den Neuankömmlingen ihr Überleben.
Doch dabei geschah, was viele landesstolze Japaner schnell als Belästigung empfanden: Die Ausländer versammelten sich in aller Öffentlichkeit. Wer sonntags im Olympiapark zu Tokio spazieren ging, sah sich plötzlich unter fremden Augen im eigenen Land. Diesem Phänomen hatten Japaner bislang nur in christlichen Gotteshäusern nachspüren können. Seit kurzem aber bevölkerten Gruppen von Iranern auch die Bahnhofshallen der Hauptstadt. Kein Pendler konnte die Veränderung im gewohnten Stadtbild mehr übersehen.
Nicht lange Zeit verstrich, da fühlte sich die Regierung zum Handeln aufgefordert. Kurzerhand kündigte sie ein Abkommen mit Teheran auf, daß den zuletzt besonders zahlreich nach Japan pilgernden Persern einen dreimonatigen visafreien Aufenthalt gestattete. Darüber hinaus veranlaßte die Polizei Massendeportationen von Ausländern, die sich ohne gültige Papiere in Japan aufhielten — und das sind die meisten im Land.
Zumindest für die Betroffenen kamen die plötzlichen Polizeiaktionen überraschend. Damit hatten sie bereits einen ersten Erfolg: Jetzt wagt sich, wer in Tokio Ausländer ist und keine Papiere hat, nur mehr vorsichtig auf die Straße. Nippons Gastarbeiter sind wieder unter den Teppich gekehrt, ohne daß die Gesellschaft — bis auf wenige Bürgerinitiativen — auch nur einen Ansatz von Problembewußtsein im Umgang mit dem ersten Fleckchen Multikulturellem erkennen ließ.
Umso besser läßt sich nun am Beispiel Amerikas zeigen, wie gut es den Japanern unter ihresgleichen geht. „In Japan gibt es die Gastarbeiter noch nicht sehr lange“, analysierte die sonst so liberale Tageszeitung 'Asahi Shimbun‘, „deswegen geht es ihnen noch wie Reisenden. Doch wenn diese Ausländer nach ein paar Jahren im japanischen Leben Fuß fassen, könnte es bei uns ähnliche Probleme wie in den USA geben.“ Aber soweit wird es Japan wohl nicht kommen lassen. Die Öffentlichkeit ist gewarnt, und im Zweifelsfall hilft die Deportation. Zumindest mit den Ausländern im Land kommuniziert Kiichi Miyazawa „ohne viele Worte zu machen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen