Gesucht: Fahrer im Stadtverkehr

■ Angesichts des Streiks von Bussen und Bahnen eröffneten zwei Frauen am Sonntag spontan die erste »Innerstädtische Mitfahrzentrale« in Berlin/ Über 300 Anrufer

Berlin. Bei Svenja und Tina in Moabit laufen die beiden WG-Telefone heiß. 100 Fahrer sowie über 200 Mitfahrer hatten sich bis gestern nachmittag bei Berlins erster »Innerstädtischen Mitfahrzentrale« gemeldet, um einen lift zur Arbeit oder zum Arzt zu bekommen. »Wir hätten nie gedacht, daß es so lawinenartig losgeht«, erzählt Tina. Deswegen sind sie auch nicht auf die Idee gekommen, ihren neuen 15-Stunden-Tag (die Mitfahrzentrale ist von 6 bis 20 Uhr besetzt) von ihren Kunden per Vermittlungsgebühr entlohnen zu lassen.

Sonntag nachmittag: Svenja und Tina hören mit verhaltenem Atem zu, wie ein Sprecher ihre Telefonnummern durch den Äther aufsagt: »...3951757 für Mitfahrer und 3959669 für Fahrer.« Kurz nach der Durchsage ist es mit der sonntäglichen Ruhe vorbei. Das Telefon auf Tinas Schreibtisch klingelt. Der Kaffee wird kalt, der Aschenbecher neben den Zetteln, auf dem Angebote und Gesuche nach Bezirken geordnet notiert sind, quillt über. Tina kümmert sich um die Mitfahrgesuche und muß Schwerstarbeit leisten. Klingelt das Telefon im Zimmer nebenan, sprintet Svenja los. Dort melden sich die Fahrer, die bereit sind, jemanden mitzunehmen. Svenja nimmt die Route und Abfahrtzeit auf. Gemeinsam versuchen sie dann, zwischen Zetteln und Aschenbecher, den Überblick zu bewahren. »Die Nachfrage ist groß, das Angebot könnte besser sein«, und damit meint Svenja die Fahrer. »Nebenan muß es öfter klingeln, sonst läuft sie mir noch einen Graben in den Fußboden«, meldet sich Tina lakonisch.

Für die Zeit des BVG-Streiks wollen Svenja und Tina Mitfahrgelegenheiten quer durch die Stadt vermitteln. Die Idee entstand, als sich Svenja am Montag vergangener Woche alleine durch den Stau quälte. »Alle saßen allein im Auto«, sagt Svenja, und das ärgerte sie ebenso wie der Abfall, der sich jetzt auf vollen Mülleimern in den Straßen stapelt. Als politisch wollen sie ihre Aktion nicht verstanden wissen.

»Eigentlich bin ich für den Streik«, meint Tina, »aber muß ich deswegen tatenlos zusehen?« Ganz uneigennützig handelt sie nicht. Vor ein paar Monaten hat sie sich selbständig gemacht und einen Kinderpartyservice eröffnet. Wenn sie sich jetzt am Mitfahrertelefon meldet, hört sich das so an: »Kinderpartyservice, zur Zeit Mitfahrzentrale!« Svenja verzichtet auf den Vorsatz: »Das ist Tinas Sache.«

Ihren Erfolg verdanken sie einigen Radiostationen, die sich am Sonntag nachmittag spontan entschlossen, die Idee samt Telefonnummer über den Äther zu verbreiten. Nicht alle spielten mit. Der RIAS habe mit der Begründung abgelehnt: »So etwas machen wir nicht!« Mit dem Resultat des ersten Tages können sie trotzdem zufrieden sein, auch wenn sie nicht alle Gesuche vermitteln konnten. »Die Mitfahrer erwarten zum Teil einen Transfer von Haustür zu Haustür«, erklärt Tina, »drei Straßen läuft kaum noch einer.« Ansonsten riefen Leute aus dem Ost- wie auch aus dem Westteil an, Junge wie Alte. Ein Drittel der FahrerInnen sind Frauen, zwei Drittel Männer. Es hätten sogar Schüler angerufen, erzählt Tina, die einen lift zur Schule suchten, wo sie dringend hinmüßten. Das habe sie überhaupt nicht verstanden. Ralf Knüfer/jgo

Fahrertelefon: 3959669, Mitfahrertelefon: 3951757.