: Flüchtlingsstau an der Alpengrenze
Bosnier werden an den Grenzen abgewiesen/ Kroatien und Slowenien: Männer sollen kämpfen ■ Aus Budapest R. Hofwiler
Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina kommen nicht weit. 250.000, die es nach Kroatien verschlagen hat, sitzen dort fest, eine kleinere Zahl von 20.000 in Slowenien. Manch einer möchte aber Verwandte in Österreich, der Schweiz oder Deutschland aufsuchen — ein Reiseziel, das immer aussichtsloser wird. Obwohl offizielle Stellen alle Vorwürfe in diesem Zusammenhang abstreiten, finden sich in kroatischen und slowenischen Zeitungsspalten Dutzende von Beispielen, wie flüchtende Bosnier spätestens an der österreichischen und italienischen Grenze zurückgewiesen wurden.
In einer Reportage des Ljubljaner Fernsehens vom slowenisch-österreichischen Grenzposten Spielfeld wird von tausend Zurückweisungen allein seit dem 1. Mai gesprochen. Eine Anschuldigung, die am Montag der österreichische Innenminister Franz Löschnak weit von sich wies. Er habe nie solche oder ähnliche Anweisungen gegeben, und im übrigen sei ja für die Zollwache nicht der Innenminister zuständig. Zöllner wiederum beteuerten im Wiener Rundfunk, sie hätten sehr wohl Anweisungen bekommen, nicht jeden bosnischen Staatsbürger einreisen zu lassen. Von wem die Anweisung aber gekommen sein soll, wollten diese wiederum nicht verraten. Nur dies: Voraussetzungen für die Einreise seien ausreichende Geldbeträge und ein Visum für die Schweiz oder Deutschland; Sichtvermerke, die in Sarajevo ausgestellt sein müssen. Eine Bedingung, die derzeit kaum jemand erfüllen kann. In Sarajevo gibt es nur eine Handvoll westlicher Konsulate, die zudem seit Beginn der Straßenkämpfe geschlossen sind.
Obwohl Löschnak gestern vor der Presse jede angebliche Einreisereglementierung zurückwies, wußte er in einer Andeutung den Schwarzen Peter weiterzuschieben: Die bayerischen Behörden hätten, wie ihm zu Ohren gekommen sei, mehrere Busse aus Sarajevo an der deutschen Grenze abgewiesen, den Flüchtlingen die Einreise verweigert. Aber Österreich habe ihnen daraufhin Aufenthalt gewährt. Gestern nachmittag wollte das Wiener Parlament die Vorwürfe diskutieren.
Aber nicht nur Österreich tut sich schwer in der Frage, bosnische Flüchtlinge aufzunehmen oder nicht. Auch in Slowenien denkt man ernsthaft darüber nach, die einstigen Landsleute auf subtile Weise wieder loszuwerden. Schon gilt — zumindest schreiben das kroatische Zeitungen — eine ungeschriebene Regel, daß nur Frauen und Kinder aus Bosnien das Recht auf Aufenthalt zugestanden bekommen. Männer zwischen 18 und 55 Jahren werden mit der Aufforderung an der slowenisch- kroatischen Grenze zurückgewiesen, doch in ihrer Heimat gegen den serbischen Aggressor mit der Waffe in der Hand Widerstand zu leisten.
Letzter Zufluchtsort ist somit derzeit die Republik Kroatien, die mit dem eigenen ungelösten Flüchtlingsproblem nicht fertigzuwerden scheint. Denn seit Ausbruch des kroatisch-serbischen Krieges sind in Kroatien offiziell über 750.000 Menschen heimatlos geworden, inoffiziell spricht man von fast einer Million Menschen ohne Bleibe. Kroaten kann und will derzeit niemand nach Bosnien zurückschicken. Zudem versucht Zagreb, sich als Schutzmacht der dort lebenen Kroaten und Muslimanen zu präsentieren. Nur eines wird auch hier immer stärker in die politische Diskussion eingebracht: Wehrfähige Männer müßten zurück an die Front, an die slawonische ebenso wie an die Frontabschnitte in Bosnien. Eine Forderung, die in der Tat schreckliche Realität werden könnte. Denn aufgrund des Bürgerkriegs in Bosnien wird auch die Stationierung von UNO-Blauhelmen gefährdet. Pessimisten befürchten, daß auch in Kroatien der seit Wochen auf kleiner Flamme schwelende Kleinkrieg erneut mit voller Wucht ausbrechen könnte. Dann muß mit einer allgemeinen Mobilmachung für alle wehrfähigen Männer gerechnet werden. Rechtsaußen-Parteien rufen bereits zu einer Generalmobilmachung „gegen den serbischen Feind“ auf. Der Großkroate Dobroslav Paraga fordert gar öffentlich die „Eröffnung der Südfront“ und einen militärischen Angriff auf die Republik Serbien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen