Ist der „Denver-Clan“ weiter als Maxim Gorki?

Die „Dritten Bitterfelder Konferenz“ der Künstler: Falsche Analogien, echte gesamtdeutsche Wehleidigkeit  ■ Aus Bitterfeld Ulf Erdmann Ziegler

Hinter dem mitteldeutschen Städtchen Bitterfeld, dessen Ortskern bei hastiger Durchfahrt etwas Beschaulichkeit bewahrt, liegt auf dem Gelände des Elektrochemischen Kombinats der Kulturpalast Wilhelm Pieck, von den Veranstaltern der „Dritten Bitterfelder Konferenz“ schlicht Kulturpalast genannt. „Kunst. Was soll das?“ hieß das Motto, das eigentlich nicht anders als ironisch gemeint sein konnte.

Der Sitzungssaal war gänzlich leer, und auf der Bühne, die ungefähr die Tiefe des Saals spiegelt, waren ein paar hundert Stühle aufgebaut, und das Podium, von dem aus Erich Loest bei Ankunft des Berichterstatters eine ergriffene und ergreifende Rede hielt. Er wurde abgelöst durch Werner Heiduczek, der anmerkte, zum Zeitpunkt der Ersten (1959) und der Zweiten „Bitterfelder Konferenz“ (1964) habe Erich Loest in Bautzen eingesessen. Es war das einzige Mal an diesem Tag, daß einen die Ahnung eines Verlustes anflog.

Die Schriftsteller hatten es damals ernst gemeint, mit dem Kommunismus, der da kommen sollte, mit ihrer Hilfe; und mit den bornierten Floskeln der SED. Adolf Endler, heißt es in einer Anthologie, „arbeitet an zwei Gedichtzyklen, die sich mit dem Leben der Transportarbeiter beschäftigen“; Bernd Jentzsch hielt „nach dem Ehrendienst in der NVA auch hinterher die Verbindung zu seinem Regiment“; und Rainer Kirsch habe im trauten Kreis der Arbeiterdichter die noch jungen Gedichte seiner noch jungen Frau Sarah gelesen: „Zieh, Traktor, zieh! / Wir sagen nicht mehr Hü.“

Mit den Konferenzen von damals hatte sich die junge Elite der DDR- Autoren auf den „Bitterfelder Weg“ begeben; die Ärmel wurden hochgekrempelt, und man begab sich in die LPGs und Kombinate, um Stoff für sauber gestanzte Heldenromane zu finden. Die Begegnung mit der Arbeitswelt, allerdings, hatte auch sein ernüchternd-realistisches Moment, als die studierten Besucher bemerkten — so ein Teilnehmer des Plenums —, daß „gestohlen, gelogen und gefaulenzt wurde“.

Mit der Vergangenheitsbewältigung ist Schluß, als der Maler Wolfgang Mattheuer sich zu Wort meldet. Daß es ihm so gut ging, „kann ich mir auch nicht erklären“; und er fordert, daß „man das Werk mitbetrachte“.

An dieser Stelle breitete sich eine Lähmung aus, die den Rest des Tages die Stimmung der Konferenz beherrschte. Die Ostler hörten auf, sich zu beißen, und die angereisten Westler wiesen sich selbst in die Schranken. Klaus Staeck verkündete, Kunst sei „ein Übungsfeld für Demokratie“; Oskar Negt pries sich selbst, weil er „als Marxist und Sozialist nicht in die Renegatenpose“ falle, und beklagte, daß mit der Abwicklung der DDR „ein ganzes Volk entwertet“ würde. So begann die Veranstaltung, dem Verwandtenbesuch im Osten zu ähneln, datiert auf Mitte der Siebziger: sie kritisieren die DDR, nicht zu heftig, witzelnd; und wir beschweren uns heftig über die Unzulänglichkeiten der Bundesrepublik, die sie BRD nennen. Man kam zueinander, und auf der Linie überholter Perspektiven, allgemeinster Prophezeiungen, gemeinschaftlichen Klagens trank man sich in die gesamtdeutsche Wehleidigkeit.

Nun, in Bitterfeld, machen die falschen Parallelen falschen Analogien Platz. Es wird behauptet, daß an die Stelle des sozialistischen Dogmas gefälschter Wirklichkeit das „Dogma“ des Geldes trete — Mattheuer spricht von einer „Konsumdemokratie“. Nicht mit einem Wort versucht jemand zu erläutern, daß der Einbruch des Marktes in die Länder der DDR auf eine monopolistische Struktur getroffen ist, deren Mängel genauso real existierende Nöte nach sich ziehen wie die immanente Ungerechtigkeit marktwirtschaftlicher Regulative. Der untergegangene Staat im Osten wird fahrlässig mit dem Staat im Westen gleichgesetzt, Förderung als Zensur verunglimpft. Niemand erklärt, wie die Körperschaften und Gremien der Bundesrepublik verfaßt sind. Die wenigen Stimmen, die versuchen zu belegen, daß die Bundesrepublik nur zu einem Bruchteil Kollaborateur des SED-Imperiums gewesen sei, daß die Bundesrepublik die erstaunlichsten Künstlerbiographien hervorgebracht habe (und im Bereich der Malerei Werke von stilprägend internationaler Bedeutung) — diese Stimmen liegen auf der Bühne des Kulturpalastes wie Staub.

Zum Podiumsgespräch geladen, blieb bis zum Abend der Maler Penck dort sitzen, ein bärtiger, lockiger Mensch, auf die verlebte Weise in sich glücklich, und ließ sich mit Bier zulaufen. Auf seinem roten Sweatshirt prangte zweimal „BMW“, eine Firma, der er und die ihm geholfen hat. Gelegentlich schlief er ein. Aber wenn er sich meldete, dann sprach der Künstler mit dem Draht zum Nabel der Welt. Der Denver-Clan, erklärte er, sei „weiter als Maxim Gorkis Mutter“. Und die gesamtdeutsche, altlinke, protestantische, eitle Miesmacherei erschien richtig kleinlich, als der Maler prophezeite, wir hätten uns auf eine „Gegenreformation einzurichten, die vielleicht 100, vielleicht 400 Jahre dauern wird — und wir müssen uns überlegen, wie wir da durchkommen“.

Draußen im Flur verkaufte der von Sascha Anderson gegründete Galrev-Verlag seine Bücher.