Kistchen mit diversen Penissen

■ Jahrestag der Plünderung des Institutes für Sexualwissenschaft/ Ralf Dose und Rainer Herrn von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft forschen über die Geschichte des Arztes und Sexualreformers

taz: Heute vor 59 Jahren überfielen die Nazis das Magnus-Hirschfeld- Institut. Was wißt ihr darüber?

Ralf Dose: Es gibt Bilder mit Lastwagen, die am 6. Mai 1933 vor dem Institut vorgefahren sind. Sportstudenten hatten damals den Auftrag, die Bibliothek und die Sammlung, die Magnus Hirschfeld angelegt hatte, zu plündern und das Material für die öffentliche Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz zu sichern. Zeitungsberichte besagen allerdings, daß Mitarbeiter wissenschaftliche Unterlagen gerettet hätten. Auch die aus Gegenständen bestehende Sammlung konnte ja nicht einfach verbrannt werden, bloß wir wissen nicht, was mit ihr passierte. Ein Objekt davon habe ich zu Hause: ein Kistchen mit unzüchtigen Gegenständen. Die Ausrüstung einer japanischen Geisha mit Penissen in unterschiedlichen Größen. Die habe ich von einer alten Dame bekommen. Sie stellte das Kistchen zwischen die Erdbeertörtchen auf den Kaffeetisch und sagte: Ich find' die ja auch ganz nett, aber so was kann man ja nicht immer auf dem Klavier stehen haben.

War die Plünderung das Ende des Institutes?

Rainer Herrn: Ja. Hirschfeld, der sich auf einer Weltreise befand, kehrte nicht mehr zurück. Institut und Stiftung wurden geschlossen.

Stehen die Häuser noch?

Ralf Dose: Nein. Sie wurden 1943 zerbombt und 1954 abgeräumt. Damals standen sie im Bezirk Tiergarten, In den Zelten 9 und 10a. Heute sind dort, in der Nähe des Tempodroms, nur noch Bäume.

Und wo war Hirschfeld nach 1933?

Ralf Dose: In Frankreich. In Paris versuchte er, sein Institut wieder aufzubauen. Aber daraus wurde nicht mehr sehr viel. Er hielt das Klima in Paris nicht aus, weil er sich auf seiner Weltreise Malaria zugezogen hatte, und ging Ende 1933 nach Nizza, wo er zusammen mit seinem chinesischen Freund Tao Li und zeitweilig auch mit seinem langjährigen Berliner Freund Karl Giese lebte.

Und ihr hier erforscht nun die Geschichte des Institutes?

Rainer Herrn: Ralf hatte die kluge Idee, im Sommer 1991 solch ein Projekt als Ost-ABM-Projekt anzumelden. Denn alle bisherigen Arbeiten der 1982 in West-Berlin gegründeten Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft waren im wesentlichen ehrenamtlich. Sie hat dennoch viel Detailforschung betrieben und auch die großen Lücken in der Institutsgeschichte ausfindig gemacht. Im Sommer wurden sechs ABM-Stellen für arbeitslose Wissenschaftler und drei technische Stellen beantragt und auch bewilligt. Hier arbeiten jetzt Sozial-, Kultur-, Naturwissenschaftler und Wissenschaftshistoriker. Für 1994, zum 75. Jahrestag der Gründung des Magnus-Hirschfeld-Institutes, planen wir eine große Ausstellung und die Veröffentlichung eines Buches.

Inwieweit war die Frauenemanzipation im Institut aufgehoben?

Ralf Dose: Aufgehoben war sie schon ganz gut dort, es gab ja viele Berührungspunkte. Doch anders als für die Schwulen war das Institut sicher kein Kristallisationspunkt für die Frauenbewegung. Es gab aber eine starke Verbindung über die Frauenrechtlerin Helene Stöcker, die eine enge Freundschaft mit Hirschfeld hatte. Die Sexualberatungsstelle im Institut seit 1919 ist auch ein Produkt dieser Zusammenarbeit. Das war damals natürlich keine autonome Frauenberatungsstelle, sondern eine ärztlich geleitete. Zum Beispiel von Max Hodann, der als »Hoden-Maxe« bekannt war, weil er als linker Stadtarzt in Reinickendorf überall seine Aufklärungsvorträge hielt. Außerdem arbeitete Hirschfeld 1925 bis 1927 mit Laienorganisationen im Hinblick auf die Veränderung des Sexualstrafrechts zusammen. Es ging um Verhütung, Werbung für Verhütungsmittel, die bis 1927 verboten war, um Abtreibung und die Rechte von unehelichen Kindern. Und um Aphrodisiaka.

Rainer Herrn: Da war Hirschfeld mit seinen Titus-Perlen nicht ganz unbeteiligt.

Ralf Dose: Das war ein Potenzmittel. Aber das hat mit Frauenbewegung nichts mehr zu tun. Es hat eine ganze Reihe von Frauen gegeben, die auf den Kongressen auftraten: die Schriftstellerin Toni Schwabe, Auguste Kirchhoff, Johanna Elberskirchen, Maria Krische, Margarete Dost — über die wir nichts wissen, vielleicht gibt es ja noch Verwandte, die uns etwas mitteilen können. Oder Dora Russell und Norman Haire, die 1929 einen internationalen Sexualreformkongreß organisierte.

Gab es Kontakt zu Wilhelm Reich?

Ralf Dose: Reich kam erst 1930 nach Berlin, als das Institut schon im Niedergang und Hirschfeld auf Weltreise war. Verbindungen gab es nur in der Weltliga für Sexualreform, wo sich beide Parteien wegen unterschiedlicher politischer Vorstellungen beharkt haben. Die Weltliga war für Hirschfeld ein linksliberaler Aufklärungsverein, während Reich daraus einen revolutionären Verband machen wollte.

Rainer Herrn: Die Verbindung zwischen dem Institut und der KPD liegt aber noch ziemlich im dunkeln. Hirschfeld war sehr auf bürgerliche Reputation bedacht, andererseits gab es einige Kommunisten, die im Institut zur Untermiete wohnten.

Ralf Dose: Willy Münzenberg zum Beispiel, von 1926 bis 33. Und auch Heinz Neumann, damals im Parteivorstand. Offenbar hat die Komintern das Institut als unverfängliche Adresse benutzt, zum Beispiel für ausländische Besucher. Und das Institut, das außer Arzthonoraren und Spenden nichts einnahm, hat womöglich finanziell davon profitiert.

Rainer Herrn: Wegen seines etwas undurchsichtigen Finanzgebarens gab es durchaus Anwürfe gegen Hirschfeld.

Ralf Dose: Er war ein Patriarch, der mit den Geldern seines Vereins gelegentlich von der linken in die rechte Hosentasche gewirtschaftet hat. Manchmal hat er den Namen des Institutes auch für Arzneimittelpropaganda hergegeben. Zum Beispiel bei Patentex-Schaum, den es heute noch gibt. In einer Patentex-Broschüre wird mit Verweis auf das Institut behauptet, der Schaum reiche auch ohne Kondom für die Verhütung aus. Das ist nicht so schön.

Fragwürdig sind auch seine Behauptungen, Homosexualität werde durch »falsche« Sexualhormone ausgelöst.

Rainer Herrn: Hirschfeld hat die heute sehr merkwürdig anmutende Theorie der Zwischenstufen vertreten. Er glaubte, bei den Geschlechtsorganen, den Körpermaßen, dem Sexualtrieb und dem Charakter männliche und weibliche Eigenschaften unterscheiden zu können. Dabei, sagt er, gebe es zahlreiche Mischformen, Zwischenstufen. Mit der aufkommenden Hormonforschung ab 1910 begann er die Hormone dafür verantwortlich zu machen. Sehr zupaß gekommen ist ihm dabei die Pubertätsdrüsentheorie des Wiener Hormonforschers Eugen Steinach. Dieser behauptete, Homosexualität sei beim Mann durch weibliche Hormone und bei der Frau durch männliche bestimmt. Das meinte er am Beispiel einer homosexuellen Ziege nachweisen zu können. Steinach meinte sogar, Homosexuelle »heilen« zu können, indem er sie kastriert und ihnen Scheibchen von Hoden heterosexueller Männer einpflanzt. Tatsächlich wurden Operationen durchgeführt, 13 sind nachgewiesen. Fatal ist, daß auch Hirschfeld mindestens zwei Patienten aus seiner Praxis dorthin überwies. Zuerst gab es große euphorische Berichte über diese »Heilungen«, aber 1923 entpuppten sich diese Männer als nach wie vor homosexuell. Ein anderer Institutsmitarbeiter, Arthur Weil, nahm auf Anregung Hirschfelds Konstitutionsuntersuchungen vor und bekam auch eine Auszeichnung, weil er herausgefunden hatte, daß Homosexuelle angeblich ein deutlich weiblicheres Becken hätten. An solche Art von Theorien wollen wir in unserer Arbeit natürlich nicht anknüpfen. Das Gespräch führte Ute Scheub