Mitläufer, Aufschneider und Rechter

Psychologische Gutachten beim Prozeß gegen junge Hünxer Brandstifter/ Rechtsradikale Hünxer Clique ständig unter Alkohol/ Auch bei der Tat betrunken und damit „vermindert schuldfähig“  ■ Von Bettina Markmeyer

Duisburg (taz) — „Wenn wir nicht Alkohol getrunken hätten, hätten wir das nicht getan“, sagte Jens G. Wilhelm Rotthaus, dem Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Viersen, der ihn und die beiden anderen Täter untersuchte. Zunächst hatten JensG., VolkerL. und AndreC. mit Freunden auf einer deutschen Vereinigungsfete am Abend des 2.Oktober 1991 im westfälischen Hünxe Alkohol in sich hineingekippt, jeder ein paar Flaschen Bier und Whisky- Cola. Erst nachdem sie so eingestimmt waren, starteten sie zu ihrer „Aktion“: Sie warfen Molotowcocktails gegen das Hünxer Asylbewerberheim, die die Wohnung der libanesischen Familie Saado in Brand setzten. Zwei Mädchen erlitten so schwere Verbrennungen, daß sie ihr Leben lang enstellt bleiben werden.

Alkohol, das wurde am gestrigen, dritten Verhandlungstag gegen die drei Attentäter vor der Jugendstrafkammer des Duisburger Landgerichts deutlich, spielte in der Hünxer Skin-Clique eine große Rolle. Musik mit rechtsradikalen Texten, Kriegsvideos, das Singen nazistischer Lieder, kleine Randalierereien auf dem Marktplatz, Schlägereien mit der verfeindeten Türken-Gang aus dem Nachbardorf, zu allem, was der Clique Spaß machte, wurde Alkohol getrunken. Dann wurde es noch „lustiger“, wurde selbst der Stillste von ihnen, der gehemmte, verschlossene AndreC. gesprächiger und „offener“. JensG. konnte sich als „starker Mann“ fühlen beim „Bürger Schocken“ und beschrieb dem Psychiater die Momente, in denen man gemeinsam stark war, als „die schönsten“ mit der Gruppe. VolkerL. trank in den Monaten vor der Tat täglich fast einen halben Kasten Bier. Trinken, das steigerte das ansonsten öde, oft frustrierende Lebensgefühl.

Die Jungen wissen, was der Alkohol ihnen bedeutete, und sie wissen auch, was er bewirkte. JensG. sagte vor Gericht, bei Schnaps werde er „aggressiv“. Doch obwohl der enge Zusammenhang insbesondere in rechtsradikalen, männlich dominierten Jugendgruppen zwischen Saufen und „Aktionen machen“ für alle Welt offensichtlich ist, wird die Tatsache, daß sie angetrunken waren, den Tätern von Hünxe die Strafen verkürzen. Denn das Strafgesetzbuch kennt den Paragraphen über die verminderte Schuldfähigkeit, und dieser, so empfahl der psychiatrische Gutachter, Wilhelm Rotthaus, dem Gericht gestern, sei bei allen dreien anzuwenden. Schon die Anklage, die auf versuchten Mord, menschengefährdende Brandstiftung, Sachbeschädigung und Waffenbesitz lautet, war von verminderter Schuldfähigkeit wegen Trunkenheit während der Tat ausgegangen. Alle drei seien außerdem als Jugendliche einzustufen, sagte Rotthaus weiter, also weniger hart abzustrafen.

Deutlich unterschiedliche Persönlichkeitsbilder der drei 18- und 19jährigen ergaben die Gutachten. Rotthaus stufte AndreC. als Mitläufer ein. Der Junge sei die personifizierte Meinungslosigkeit, ausländerfeindliche Parolen habe er nur nachgeplappert, um den anderen zu gefallen. Er sei total gehemmt, könne sich nicht ausdrücken, leide unter extremen Minderwertigkeitsgefühlen und sei leicht zu beeinflussen. AndreC. hatte seinen Molotow- Cocktail auf ein Auto und nicht auf das Haus der AsylbewerberInnen geworfen, weil er „aus einem diffusen Gefühl für die Gefahr“ zurückschreckte. Wie AndreC. schilderte Rotthaus auch den Angeklagten JensG., der bei Vernehmungen und vor Gericht stets einen souveränen Eindruck machte, als depressiv und innerlich leer, früher von Selbstmordgedanken geplagt. Seinen Verstand habe JensG. vor allem dazu benutzt, eine perfekte Fassade aufzubauen, als sicherer Typ aufzutreten, sich von Freunden wegen seiner Kleidung und seiner ständigen Provokationen bewundern zu lassen und besitzergreifend in das Leben seiner Freundin hineinzuregieren. Seine rechten politischen Überzeugungen seien nicht Grund für den Anschlag gewesen, sondern der Wunsch, „eine Schau zu machen“, also vor seinen eigenen Freunden gut dazustehen. Daß Beifall zu so einer Tat zumindest Ausländerfeindlichkeit, wenn nicht entsprechenden Haß bei den Jugendlichen voraussetzt, erwähnte der Gutachter nicht.

Als überzeugten Rechten, der seine Meinung durchdacht hat und verteidigt, schilderte Rotthaus den dritten Angeklagten, VolkerL. Er wolle mit erhobenem Haupt und stolz darauf, ein Deutscher zu sein, durch die Welt gehen. Nur bei ihm erkläre sich die Tat aus seinem Denken, obwohl VolkerL. darauf bestand, er würde für seine politischen Ziele keine Gewalt anwenden. VolkerL. sei ein phantasievoller Junge, sehr geltungssüchtig und durchsetzungsfähig. Seine rechte Gesinnung sei Kern seines Lebensgefühls.

Alle drei Angeklagten sagten dem Gutachter, sie hätten niemanden verletzen wollen. Fotos von den libanesischen Mädchen könne er nicht ertragen, dann könne er nicht mehr schlafen, hatte JensG. erklärt. Während das Gericht keine Fragen hatte, förderten die Fragen des Nebenklagevertreters, Michael Gödde, der die Familie Saado vertritt, zutage, daß die meisten Jugendlichen der „Marktplatzclique“ — auch AndreC. — bewaffnet waren mit Messern, Totschlägern und anderem. Der Psychiater hatte dieser Bewaffnung keine besondere Bedeutung beigemessen. Der Prozeß wird am 18.Mai mit Gutachten über die Flugbahn der Molotowcocktails fortgesetzt.