Tschernobyl-Meiler sollen Plan erfüllen

■ Rußland will Tschernobyl-Reaktoren bis ans Ende der ursprünglich geplanten Lebensdauer nutzen

Karlsruhe (taz) — Die russische Regierung will ihre Katastrophenreaktoren vom Typ Tschernobyl RBMK bis weit ins nächste Jahrhundert betreiben. Zu diesem Zweck sollen die nach dem Super-GAU in der Ukraine schleppend angelaufenen Sanierungsmaßnahmen an diesen besonders unsicheren Reaktoren in Etappen weitergeführt werden. Das erklärte gestern der stellvertretende Moskauer Atomminister Viktor Sidorenko anläßlich der vom Deutschen Atomforum veranstalteten „Jahrestagung Kerntechnik“ in Karlsruhe.

Ziel sei es, sämtliche RBMK-Reaktoren entsprechend ihrer ursprünglich geplanten Lebensdauer zu nutzen. Die Arbeiten an der älteren Baureihe sind nach den Worten Sidorenkos bereits angelaufen und teilweise abgeschlossen. So wurde im vergangenen Jahr einer der Reaktoren in der Pannenzentrale von Sosnovy Bor „ertüchtigt“. Im kommenden Jahr soll mit dem „Face-lifting“ der Altmeiler von Kursk begonnen werden. Die neueren Reaktorblöcke dieses Typs — etwa der 1990 fertiggestellte Meiler in Smolensk — genügten bereits heute den Sicherheitsanforderungen, die am Ende des Ertüchtigungsprozesses alle RBMK- Anlagen erfüllen sollen. — Den Vertretern der deutschen Atomlobby war der forsche Karlsruher Auftritt Sidorenkos sichtlich unangenehm. Siemens/KWU bemüht sich zwar seit Jahren um Aufträge zur Nachrüstung sowjetischer Meiler, machte aber bisher um die Reaktoren vom Tschernobyl-Typ einen großen Bogen. Diese seien auf kein „im Westen akzeptables Sicherheitsniveau“ aufzumotzen, bekräftigte gestern der Chef der Erlangener Reaktorbauer von Siemens/KWU, Wulf Bürkle. Darüber gebe es einen „offenen Dissens“ mit dem russischen Gast.

Weniger Probleme hat Bürkle mit den neueren sowjetischen Druckwasserreaktoren der 440-Megawatt- und 1.000-Megawatt-Klasse. Sie seien durchaus „nachrüstungsfähig“, meinte Bürkle. Das Geld dafür, nach Industrieschätzungen rund 15 Milliarden Mark, erhofft Bürkle von Finanzentscheidungen des G-7-Gipfels der sieben größten Industrieländer im Juli in München. Mögliche alternative Hilfsmaßnahmen für das marode Energiesystem in den GUS- Staaten, etwa im Bereich der Effizienzsteigerung, waren bei den Atommanagern in Karlsruhe bisher kein Thema. Gerd Rosenkranz