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Der Schlund der 2.Liga

■ Im Revier, wo der Abstiegskampf tobt/ Schalke will kein Spielverderber sein und schlägt Bochum mit 2:1

Traumkombinationen und Spitzenfußball? Torejagden und unbeschreiblicher Jubel? Meisterschalen und Ehrenmedaillen? Siege im Gleichtakt von Frankfurt, Stuttgart und Dortmund? Ist das die Wahrheit des Fußballs?

Allzu selten werden die Freuden des Abstiegskampfes beklatscht. Dieses Gewürge um jeden Punkt in den Hinterhöfen der Tabelle. Bitteres Scheitern und halbe Erfolgserlebnisse. Schauen wir also für einen Moment zurück ins Parkstadion Gelsenkirchen und betrachten den Auftritt des VfL Bochum beim FC Schalke04.

Natürlich der VfL Bochum. Wer sonst? In 21 Jahren Bundesliga hat dieser Klub doch mit konsequenter Ausschließlichkeit den Part des Abstiegskandidaten übernommen. Jedes Jahr anders, jedes Jahr neu. Immer mit demselben Ergebnis. Dem angstvollen Blick in den leeren Schlund der 2.Liga. Und Niederlagen gegen Schalke nimmt der Fan in Bochum besonders übel.

Nach 13 Minuten verlor Dirk Eitzert, der erste Skater-Fußballer in der Bundesliga, den Ball an der rechten Spielfeldseite der eigenen Hälfte im jugendlichen Leichtsinn. Flugs landete das Spielgerät bei Ingo Anderbrügge, und der strauchelte im Strafraum des VfL Bochum. Den Elfmeter verwandelte der Gestolperte selbst. Sechs Minuten später verlor Jörg Schwanke den Ball auf gleicher Höhe, aber mittiger als zuvor Eitzert. Diesmal mußte niemand stolpern. Christensen schoß das 2:0.

Die schlechteste VfL-Mannschaft, die jemals über Bundesligarasen lief, faßte ihre Saisonleistung exemplarisch zusammen. Die Abwehr versucht sich seit inzwischen 36 Spieltagen in der Kunst diverser Improvisationen. Und verspielt sich ständig. Der Holländer Rob Reekers (Zwischenruf: „Nimm den Käse aus den Schuhen!“) versuchte sich am Dienstag zudem als Antriebskraft der Offensive. Bald verband ihn eine schöne Freundschaft mit Schalkes Torwart Jens Lehmann, dem er die Bälle aus den Weiten des Mittelfeldes in die Arme schaufelte.

Dort im Mittelfeld kämpft eine Zwergenarmee (1,69, 1,70, 1,71) gegen die finsteren Übermächte des Gegners. Darius Wosz, der tollste Zwerg, raste in Schalke begeisternd über den Platz, scheiterte aber daran, daß der VfL Bochum wieder mit einer in der Bundesliga einzigartigen Variante des Offensivspiels aufwartete. Man spielt ohne Sturm. Beharrlich stellt Bochums Trainer Holger Osieck immer nur einen Stürmer auf, der keiner ist. Diesmal war es Thomas Epp (eigentlich immer verletzt, zwei Saisontore), aber auch Frank Türr (Treffer am 2. und 35. Spieltag), Rocco Milde (ebenfalls zwei Treffer) oder Ivo Knoflicek (ein phantastisches Spiel, ein Tor, seitdem verletzt) scheinen verbissen um einen Platz in den Friedenstruppen dieser Welt zu kämpfen. Daß mit dem HSV und Mönchengladbach sogar zwei Mannschaften in dieser Saison noch weniger Tore erzielt haben, gehört zu den unerklärten Mysterien der Bundesliga.

Nun mag man sich fragen, wann das Lob beginnt? Wo denn die angeblichen Freuden des Abstiegskampfes liegen? Dabei ist das eigentlich ganz einfach. Es basiert auf der Einsicht menschlicher Fehlbarkeit und der Sympathie mit den verzweifelt Ringenden und Scheiternden.

Man fühlt die Begrenztheit des Handelns sofort mit, wenn ein Jörg Schwanke oder Olaf Dressel verzweifelt überlegenen Stümern hinterherjagen. Man versteht die Angst eines Frank Heinemann vor dem Paß in die Offensive und die Einsamkeit eines Frank Türr vor dem Tor. Und doch ist dieses Gekicke und Gekloppe nicht aussichtslos. Sogar in Schalke hätte es fast noch zum Ausgleich gereicht. Knapp die Hälfte der Ligakonkurrenten quälen sich genauso.

Natürlich träumen wir davon, so zu sein wie die Sieger an der Tabellenspitze, wie Andy Möller und Uwe Bein. In Wirklichkeit aber sind wir doch wie der VfL Bochum und wie Jörg Schwanke. Beschränkt und hilflos wurschteln wir uns so durch. Der VfL gibt uns Hoffnung.

Nach drei guten Spielen und 35fachem Leiden wird am Ende der Saison bilanziert. Und wie sagte hinterher ein großer Freund des Fußballspiels aus dem Rheinischen, der sich logischerweise dem Studium der Philosophie zugewandt hat: „Vertrauen, Vertrauen! Die schaffen das auch dieses Jahr wieder.“ Christoph Biermann

VfL Bochum: Wessels - Herrmann - Reekers, Dressel - Heinemann, Schwanke, Bonan, Wegmann, Eitzert - Epp (73. Peschel), Wosz (71. Rzehaczk)

Tore: 1:0 Anderbrügge (13./Foulelfmeter), 2:0 Christensen (19.), 2:1 Wegmann (82.); Zuschauer: 51.200

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