Der Widerstand der Ästhetik

■ In Ost-Berlin beginnt heute das zweite ZwischenWelt-Festival

Widerstehen« lautet das trotzige Motto des zweiten Berliner ZwischenWelt- Festivals, das heute um 19 Uhr mit einer Kirmes im Hof der Prenzelberger Kulturbrauerei beginnt. Das Programm umfaßt 51 Gruppen und Solisten aus 22 Ländern und dauert bis Samstag. Widerstanden werden soll vor allem der flachen Musikkultur des Westens, den kunstfeindlichen Gesetzen der Marktwirtschaft und dem Westen überhaupt, versprechen die Veranstalter. Im Gegensatz zum letzten Jahr, in dem sich die Festivalplaner auch nach Kreuzberg wagten, zogen sie sich heuer gänzlich in die Ostberliner Kieze zurück.

Das ZwischenWelt-Festival löste 1991 das FDJ-eigene »Festival des politischen Liedes« ab, das in der DDR vor allem kritische Jugendliche anlockte. Der Erfolg lag jedoch weniger an den Darbietungen des blaubehemdeten »Oktoberklubs« als an den Auftritten westlicher Sänger wie Udo Lindenberg und Künstlern aus der sogenannten Dritten Welt. »Wir wollen ein Stückchen der in der DDR gewachsenen Musikkultur bewahren«, meint ZwischenWelt-Organisatorin Annekathrin Heubner. Auch wolle man »Stellung beziehen zu den kapitalistischen Verhältnissen«, die so plötzlich in der Ex-DDR Einzug hielten und nicht nur viele KünstlerInnen um ihre Existenzgrundlage brachten.

Hervorragend ins Konzept paßte da die zufällige Entdeckung, daß sich am 10. Mai Peter Weiß' Todestag zum zehnten Male jährt. Sein Mammutwerk Ästhetik des Widerstands, das Scharen linker LeserInnen in Ost und West in Atem hielt, habe an »Aktualität nichts eingebüßt«, heißt es im Programmheft. Allerdings wolle man die »Ästhetik« nicht in ein starres Korsett pressen, sondern nach einer neuen Lesart suchen, meinte Annekathrin Heubner. Mit der Inszenierung Wege der Charlotte Bischoff, der Hauptfigur des Romans, geht die Ostberliner Regisseurin Gina Pietsch mutig voran. — Das weitere Festival-Programm dreht sich neben Widerstand vor allem um Multikulturelles. Jeder Tag ist einem Thema gewidmet, am Freitag geht es um »Andere neben Dir«, am Samstag um »Unsichtbaren Widerstand« und am Sonntag ums »Widerstehen«. Die Liste der Interpreten, die in der Kulturbrauerei und im Franz-Klub (beide Schönhauser Allee), in der Parochialkirche (Klosterstraße) sowie in der Wabe und im TuD (beide Thälmannpark) auftreten, weist international angesehene Größen auf. Zu den Glanzlichtern dürften der Reggae-Poet Linton Kwesi Johnson (Freitag) und der Argentinier León Gieco (Samstag) gehören. Unter dem Motto »Deutschland, Deutschland unter anderem« treten am Sonntag Stefan Krawczyk, Bettina Wegner und Barbara Thalheim auf. Interesse an einem ZwischenWelt-Auftritt haben indes doppelt so viele KünstlerInnen angemeldet, als man habe unterbringen können, bedauert Gina Pietsch. Da die Veranstalter sich nicht im klaren sind, wie viele BesucherInnen ein linkes Liederfestival nach der Wende noch anlocken kann, sagten sie vorsorglich ab. Für die Festival-Gäste hat diese Entwicklung allerdings einen Vorteil: Stand man früher oftmals stundenlang vergeblich nach Karten an, kann man sie heute problemlos an der Abendkasse bekommen. Micha Schulze

Die Veranstaltungen bitte dem taz- Programmteil entnehmen. Weiteres im Festivalbüro, Oderberger Straße 28, oder unter 4485805.