Machtwechsel in Tadschikistan?

Verhandlungen zwischen Opposition und Regierung sollen stattgefunden haben/ Ausnahmezustand in Duschanbe aufgehoben/ Widersprüchliche Angaben über Tote und Verletzte  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Widersprüchliches verlautet aus dem ehemaligen sowjetischen Orient. Kann man den Angaben der Nachrichtenagentur 'Interfax‘ trauen, so soll die Islamische Opposition der mittelasiatischen Republik Tadschikistan die Macht übernommen haben. Der Informationsdienst der Moskauer Zeitung 'Nesawissimaja Gaseta‘ meldete dagegen, daß Regierung und Opposition eine Einigung über die Bildung einer Koalitionsregierung gefunden haben. Grundsätzliche Zweifel sind nicht so sehr gegenüber den Quellen, sondern vielmehr der Haltbarkeit solcher Abkommen in der rückschrittlichsten der ehemaligen Sowjetrepubliken angebracht.

Nach Berichten von 'Interfax‘ soll zugleich inzwischen auch der am Dienstag verhängte Ausnahmezustand aufgehoben worden sein. In den vorangegangenen Tagen sollen die oppositionellen Kräfte weite Teile Duschanbes, den Flugplatz, vor allem aber das Fernsehzentrum, unter ihre Gewalt gebracht haben. Fest in der Hand der Regierung befindet sich nur der lokale Radiosender, der von Einheiten der kürzlich gegründeten Nationalgarde des Präsidenten bewacht wird. Die Opposition forderte deren Auflösung. Als Kompromiß soll die Regierung deren Entwaffnung angeboten haben. Bei Scharmützeln zwischen den rivalisierenden Parteien sind nach Angaben der Opposition zwischen 14 und 60 Menschen gestorben. Die Regierung dementierte dergleichen Berichte. Vorgestern noch hatte Präsident Nabijew in einem öffentlichen Aufruf an die Bevölkerung appelliert: „Das Vaterland ist in Gefahr. Das ganze Volk erhebe sich und sei einig!“ Zuvor hatte er zu seiner Unterstützung wie in kommunistischen Zeiten Busladungen seiner Anhänger in die Stadt karren lassen.

Die Opposition scheint einig zu sein und nicht bereit zum Einlenken. Neben der Demokratischen Partei und der „Pastochez“-Gesellschaft, einem Sammelbecken gemäßigter Moslems, liberaler Intelligenz und ehemaliger Kommunisten, gehört ihr auch die Islamische Wiedergeburtspartei an (IWP). Sie konnte seit den Wahlen im November 1991 ihre Position erheblich ausbauen.

Im Gegensatz zur Demokratischen Partei und den Intellektuellen der Rastochez spricht sie eine Sprache, die dem Volk verständlich ist. Islamische Werte haben auch während der Sowjetzeit in der patriarchalen Gesellschaft Tadschikistans eine große Rolle gespielt.

Anlaß für das erneute Ausbrechen des seit mehr als zwei Jahren dauernden Konfliktes war die Wiedereinsetzung des Parlamentsvorsitzenden Kendschajew, der die graue Eminenz im Hintergrund des Präsidenten sein soll. Die Opposition hatte dessen Absetzung verlangt und auch erreicht. Doch zwei Tage später war der Hardliner zurück im Amt und erhielt zusätzlich die Leitung des mächtigen Nationalen Sicherheitskomitees. Die schwankende Haltung Nabijews wird damit in Verbindung gebracht, daß sein „Wahlkampfleiter“ bei den letztjährigen Präsidentschaftswahlen zuviel über die Machenschaften und den fragwürdigen Wahlerfolg seines Protestes weiß. Der Konflikt enthält jedoch noch eine weitere Dimension, die mit dem krassen Entwicklungsgefälle des Landes zu tun hat. Bisher kamen alle Potentaten der KP aus dem industrialisierten Norden des Landes. Die südlichen Bergregionen dagegen führen ein Schattendasein. Viele der Regierungsgegner in Duschanbe stammen aus diesem Gebiet.