Es ist mir egal, ob mich jemand doof findet

■ Inga Humpe gehörte vor zehn Jahren zu den Stars der »Neuen Deutschen Welle«/ Heute produziert sie Techno-Musik

Blaß, sehr blaß ist sie im Gesicht, doch Inga Humpe leuchtet: kupferfarbene Locken, orangefarbene Bomberjacke, Bodystocking im Psychodelic-Muster, eingehüllt in eine Wolke von Parfum. Wie sie an diesem grauen Frühlingstag die Straße entlang kommt, ist sie fast unwirklich bunt, ein satter Farbtupfer in einer schwarzweißen Welt. Hinter der verspiegelten Sonnenbrille kühle himmelblaue Augen. Das Mädchen im Herrenhemd, das zornig von alten Plattenhüllen der »Neonbabies« blickt, ist heute eine Frau, die mit ihrem Image spielt.

»Ich mochte mich damals so«, meint Inga Humpe achselzuckend. »Ich glaube, als Mädchen in einem bestimmten Alter gibt es eine Zeit, in der man gegen alle Klischees von Schönsein kämpft, weil es mit vielen negativen Dingen verbunden ist: Wer schön ist, ist doof. Eitelkeiten waren für mich als Teenager etwas, was ich mir verboten habe. Mein Image mußte immer Kanten haben. Heute mache ich mir viel mehr Gedanken über Styling und das, was man damit verkörpert. Das liegt sicher auch daran, daß ich inzwischen mehr Substanz angesammelt habe. Heute ist es mir egal, ob mich jemand doof findet.«

Doof fanden selbst gute Freunde sie, als sie 1983 mit der Gruppe »DÖF« einen der größten Hits der »Neuen Deutschen Welle« lieferte: Codo. Der Song über den intergalaktischen Heilsbringer, der im Sauseschritt durchs Weltall düst und die Liebe mitbringt, peinigte einen geschlagenen Sommer das Publikum über Zwölf und unter Fünfzig.

Inga übte sich damals in einer Kunst, die sie »Tanten bezaubern« nennt: »Gekauft haben die Platte, glaube ich, vorwiegend Achtjährige, aber das ist generell ein Problem. Wer über 25 kauft schon Platten? So etwas kann man nur eine Zeitlang machen. Medienarbeit, insbesondere Fernsehen, ist ziemlich nervig, obwohl ich nach wie vor finde, daß gerade Fernsehshows die absolute Herausforderung sind. Du bist ein Teil einer Riesenmaschine und hast nur fünf Minuten, um den Leuten zu sagen, was du wirklich meinst.«

Inga Humpe versauerte nicht in den Niederungen der ZDF-Hitparade und begann an neuen Konzepten zu arbeiten. Da Gruppen ihr nicht liegen und sie zum Arbeiten kleine Teams bevorzugt, tat sie sich für ihr nächstes Projekt mit »Ideal-Schwester« Anete zusammen. Es folgten zwei Platten mit »Humpe/Humpe« und ein weiterer Hit: Careless Love. Der Song ging sowohl in Deutschland als auch in England in die Charts, danach war jedoch Schluß mit der Zusammenarbeit.

Inga Humpe ging nach England und begann an ihrer Solokarriere zu arbeiten: »Wenn das Hauptmotiv ist, sich weiterzuentwickeln, muß man auch erfolgreiche Dinge zerstören können. Die Zusammenarbeit mit Trevor Horn war für mich aufregend. Er war lange eine meiner musikalischen Traumfiguren.«

Derzeit arbeitet Inga Humpe an einem neuen Album für die »WEA«, das im Herbst erscheinen soll. Inspirieren läßt sie sich dabei von Techno- Rhythmen und der Berliner Underground-Bewegung: »Ich finde diese Maschinenmusik sehr sexy, aber um Gefühle damit ausdrücken zu können, muß man nicht nur die Maschinen sehr gut kennen, sondern auch sich selbst. Ich sehe es als einen Teil meiner Arbeit, neue Elemente in die Popmusik zu tragen, aber ich stehe auch in dem Konflikt, Platten verkaufen zu müssen. Es ist eben etwas anderes, ob man mal eine extreme oder innovative Platte independent herausbringt oder ob man für eine major company arbeitet. Da muß man nämlich Hits liefern.«

Ihre Möglichkeiten, sich im Musik-Business durchzusetzen, sieht Inga Humpe heute deutlicher: »Vor zehn Jahren war ich naiv und konnte die Zusammenhänge von Arbeit und Alltag noch nicht so erkennen und nutzen. Heute sehe ich das klarer, auch in der künstlerischen Entwicklung. Erfolg kann man nicht programmieren. Ich glaube, meine Erfolge und die vieler anderer waren und sind relativ zufällig. Ich hatte das Glück, mit jedem Projekt — seien es die Neonbabies, DÖF oder Humpe/ Humpe kleinere oder auch mal größere Hits zu haben. Jetzt ist mein Solo-Ding dran, und der Erfolg ist — wenn er kommt — kein Zufall. Ob man Musik oder Schuhe macht, wenn man die Sache selbst mit Liebe und Gehirn macht, werden es auch andere lieben und schätzen — fragt sich nur, wie viele. Davon hängt es ab, ob man Millionär wird.« Martin Schacht