Gegen Barzahlung

Der Fahrradfahrer (Bicycleran), 23.05Uhr, ARD  ■ Von Manfred Riepe

Die Frau auf dem Krankenbett schwebt zwischen Leben und Tod. Solange sie unter dem Sauerstoffzelt liegt, am Tropf hängt und mit Medikamenten versorgt wird, hat sie eine reelle Chance zu überleben — theoretisch. Doch wer soll das Equipment bezahlen? Die Kranke kann es nicht. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem Jungen ist sie aus Afghanistan in eine Stadt voller Flüchtlinge im Osten Irans ausgewandert und krank geworden. Schon nach wenigen Tagen hat die Behandlung die wenigen Ersparnisse verschlungen. Mit dem Ausbleiben der Zahlung stellen die Ärzte rigoros die Behandlung ein, reißen der nach Luft Japsenden kurz und schmerzvoll die Sauerstoffmaske vom Gesicht: „Behandlung nur gegen Barzahlung“ ist das Motto des Hospitals.

Die vielen afghanischen Flüchtlinge sind hier nicht gerne gesehen. Um die wenigen unterbezahlten Gelegenheitsjobs streiten sich die hungernden Massen. Einige legen sich unter die dicken Zwillingsreifen der Busse, um einen Selbstmord zu fingieren. Wenn es „klappt“, werden sie von der aufgebrachten Menge mit ein bißchen Geld und jeder Menge Tritten davongejagt. Ein „Job“ mit allenfalls metaphysischen Aufstiegschancen und ohne Risikozulage.

Verzweifelt darüber, daß jede Stunde ohne Geld seine Frau dem Tod näher bringt, irrt Nassim (M. Zaynalzadeh) mit seinem Sohn durch die Stadt. In der Not geht er auf den Vorschlag eines Schaustellers (Esmail Soltanian) ein, gegen ein lächerliches Entgelt sechs Tage und Nächte ununterbrochen Fahrrad zu fahren. Die Rechnung des Schaustellers, mit zu erwartenden Wetteinnahmen den großen Reibach zu machen, geht zunächst auf.

Doch nach und nach entwickelt die bizarre Show ihre Eigendynamik, wird zum landesweit beachteten Volksfest und schließlich zum politischen Symbol. Düpierte Staatsmänner und einflußreiche Mafiosi versuchen mit Reißnägeln, Valium, Amphetaminen und Anfeuerungsrufen, das zweirädrige Wahrzeichen entweder zu Fall oder zum Durchhalten zu bringen. Uneigennützig handelt hier niemand.

Mohssen Makhmalbaf, einer der prominentesten Vertreter des „iranischen Filmwunders“, einst militanter Schah-Gegner und Gründer eines „Zentrums für Verbreitung islamischer Kunst“, hat ein zwischen Satire, Ironie und tieferer Bedeutung changierendes Porträt afghanischer Flüchtlinge geschaffen. Der Film des 1952 geborenen Teheraners zieht alle Register zwischen Komödie und Drama.

Nicht selten bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Der Fahrradfahrer von 1989, den die ARD als deutsche Erstausstrahlung zeigt, überträgt das amerikanische Genremuster der „Durchhalteparole“ auf einen Film mit — für iranische Verhältnisse — erstaunlich unverschlüsselter Systemkritik und ist dabei kurzweilig, schrill und pointiert.