Krise in Frankreichs Atomindustrie

Im Juli läuft die Betriebsgenehmigung für den Schnellbrüter Superphenix aus/ Französische Anti-AKW-Bewegung kurz vor dem Erfolg/ Atomstromer EdF verliert Interesse an Plutoniumwirtschaft  ■ Von M. Schneider/G. Blume

Paris (taz) — Seit den sechziger Jahren schreibt die französische Plutoniumindustrie ihre Gesetze selbst. Doch nach immer teurer werdenden Programmen und einer endlosen Pannenserie ist nun offenbar auch die Geduld der Pariser Administration mit der Atomindustrie erschöpft. Der neue französische Industrieminister Strauss-Kahn jedenfalls schlug kürzlich deutlich vorsichtigere Töne an: „Das Argument, nach dem die Höhe der Ausgaben zukünftige Entscheidungen beeinflußt, gilt nicht“, so Strauss-Kahn. „Wir haben dafür jetzt einen Beweis: Frankreich hat sich in seiner Atompolitik in Richtung schnelle Brüter orientiert. Doch zahlreich sind heute jene, die diese Orientierung nicht mehr für richtig halten.“

Die nachdenklichen Worte des Industrieministers kündigen eine deutliche Wende in der Pariser Plutoniumpolitik an. In deren Zentrum steht noch immer der französische Schnellbrüter „Superphenix“ im Rhonetal. Lange Zeit war das empfindliche Brüterthema für Frankreichs regierende Sozialisten tabu. Erst unter Premierminister Michel Rocard setzte Anfang der neunziger Jahre ein Umdenken ein. Vor einem knappen Jahr signalisierte dann die sozialistische Abgeordnete Sgolne Royal, daß Paris aufgewacht war.

Das Umdenken beim Milliardenprojekt ist nicht allein die Frucht angestrengten Nachdenkens. Da mußte die Technik schon etwas nachhelfen. Diverse Pannen haben der Welt größten Plutoniumreaktor seit Juli 1990 lahmgelegt. Der Brüter Superphenix verbraucht Strom, um sein Kühlmittel Natrium zu erhitzen und flüssig zu halten, anstatt Strom zu produzieren. Und auf der juristischen Ebene treibt die Auseinandersetzung um den Reaktor von Malville, die schon 1977 auf seiten der Demonstranten einen Toten forderte, auf einen neuen, vielleicht letzten Höhepunkt zu. Produziert der Reaktor bis zum 3. Juli 1992 nämlich keinen Strom mehr, verfällt die Betriebsgenehmigung. Der Reaktor steht dann seit vollen zwei Jahren still, und das Genehmigungsverfahren müßte unter Beteiligung von Öffentlichkeit und Parlamenten wiederholt werden: Das endgültige Aus für das einstige Paradestück der europäischen Plutoniumwirtschaft.

Regierung gibt Schnellbrüter auf

Schon glaubt die Pariser Regierung, das Ende des Schnellbrüters nicht mehr verhindern zu können. Monsieur Strauss-Kahn und Madame Royal, letztere inzwischen zur Umweltministerin aufgestiegen, müssen auf einer Anhörung des Ausschusses für Technologie- und Wissenschaftsabschätzung des französischen Parlaments Mitte Mai erscheinen. Schon das Thema dürfte der verhätschelten französischen Atomlobby die Nackenhaare sträuben: „Eventualität der Wiederinbetriebnahme des Superphenix und die Zukunft der schnellen Brüter“. In dem Parlamentsausschuß werden die Atomiker neben Gewerkschaftern, Volksvertretern und Umweltschützern kaum zu Wort kommen.

Wichtig für die politische Trendwende waren auch die Wahlsiege der Grünen in Frankreich. Sie haben auch diejenigen Skepsis gelehrt, die früher die staatliche Atompolitik blindlings unterstützten. Typisch ist etwa die plötzliche Erkenntnis des vor Ort einflußreichen konservativen Abgeordneten Michel Barnier (RPR), der im Brüterprojekt an der Rhone jetzt einen „wirtschaftlichen Reinfall“ erblickt, der sich auch in Zukunft „nie rentiere“.

Gerade der neuen Generation der Umweltpolitiker erscheint der stilliegende Schnellbrüter ein willkommenes Objekt für die Demonstration ökologischer Politik. Seit der mehrheitlich konservative Regionalrat von Rhone-Alpes durch mehrere grüne Abgeordnete verstärkt ist, fordert auch er — nach Jahren der Untätigkeit — die Wiederholung des Genehmigungsverfahrens für den Schnellbrüter.

Mit der wiedererwachten Kritik am Schnellbrüter haben auch die lange verstummten französischen Atomkritiker neuen Auftrieb erhalten. Da gibt es Bilder wie aus alten Tagen: Umweltschützer in Lyon machen aufs neue mobil, und die Schweizer Initiative CONTRATOM bläst zur „General-Mobilmachung“. Das Europäische Komitee gegen Schnellbrüter und Wiederaufarbeitung hat seinerseits der französischen Regierung eine Petition überreicht, in der neben den französischen Grünen und den Schweizer Sozialisten 300 Organisationen und Einzelpersonen die Stillegung des Reaktors fordern. Tatsächlich wäre das vorzeitige Aus des Superphenix für die französische Anti-AKW-Bewegung der größte Erfolg ihrer bewegten Geschichte.

Noch hat die Atomlobby Zeit zur Gegenoffensive. Dabei kennt die französische Plutoniumwirtschaft ihre Achillesferse. Einerseits steht in Frankreich, das neben dem größten Schnellbrüter auch über das umfangreichste Wiederaufarbeitungsprogramm der Welt verfügt, die weltweite Zukunft der Branche auf dem Spiel. Andererseits gibt gerade die Tatsache, daß die wesentlichen Bestandteile der internationalen Plutoniumwirtschaft in einem Land angesiedelt sind, denjenigen Kritikern recht, die Frankreich in der Rolle des atomaren Risikoimportlands par excellence sehen. Jahrelang hat die internationale Atomlobby von der einseitigen Pariser Politik profitiert, die den Atomkritikern im Land keine Stimme ließ.

Gerade für deutsche Unternehmen war es angenehm, in Plutoniumprojekte in Frankreich zu investieren, die zu Hause politisch längst nicht mehr durchsetzbar waren. So kamen Kunden und Kapital für die französische Plutoniumwirtschaft zum großen Teil aus dem Ausland. Superphenix ist nur zu 51 Prozent auf französischem Mist gewachsen, 33 Prozent der Betreiberfirma NERSA gehören dem staatlichen italienischen Stromkonzern ENEL und 16 Prozent der Schnellbrüter-Kernkraftwerks-Gesellschaft (SBK) unter Führung des RWE.

Heimat für Europas Plutoniumfabriken

Ebenso international ist das französische Geschäft mit der Wiederaufarbeitung abgebrannter Atombrennstoffe zu Plutonium organisiert: Die Wiederaufarbeitungsanlage UP 3 in La Hague, die Ende April offiziell eingeweiht wurde, ist ausschließlich mit ausländischem Kapital gebaut worden. Nicht einmal die Hälfte des bislang in La Hague aufgearbeiteten Leichtwasserreaktorbrennstoffs (4.089 Tonnen) stammt aus französischen Reaktoren. Ein Drittel (1.295 Tonnen) wurde allein aus der BRD eingeführt und wiederaufgearbeitet. Kein Wunder also, wenn der französische Grünen-Sprecher Didier Anger erklärt: „Frankreich bleibt das wesentliche Element der Plutonium Connection in der Welt.“ Vor allem die deutsche und die japanische Atomindustrie sind auch in Zukunft darauf angewiesen, ihren verbrauchten Atombrennstoff und ihren Abfall in La Hague zu Plutonium aufarbeiten zu lassen. Um so folgenreicher ist es deshalb, wenn auch in Frankreich die Plutoniumfront bröckelt.

Hatte 1976 der damalige Boß des Atomenergiekommissariats CEA noch 450 Brüter der Klasse Superphenix in der Welt für das Jahr 2000 vorhergesagt, so ist inzwischen selbst abgebrühten Brüteranhängern klar, daß dieses Hirngespinst auch für kommende Jahrzehnte zerstoben ist. Weshalb die Plutoniumlobby in den letzten Jahren in Frankreich ihren größten und wichtigsten Verbündeten verloren hat: nämlich den alleinigen französischen AKW-Betreiber Electricite de France (EdF). Angesichts der weltweiten Plutoniumschwemme und historischen Tiefstpreisen für Natururan läßt sich die Wiederaufarbeitung nämlich insbesondere für die Elektrizitätsversorgungsunternehmen immer schwieriger rechtfertigen.

Da Schnellbrüter nicht mehr gebaut werden, nützt die Wiederaufarbeitung allenfalls noch der Herstellung von plutoniumhaltigen Mischoxidbrennelementen (MOX). Doch der MOX-Brennstoff ist schlicht zu teuer. Außerdem ist er technisch in den AKWs viel schwieriger einzusetzen, als herkömmlicher Uranbrennstoff. In Deutschland halten die Stromversorger nur deshalb an Wiederaufarbeitung und MOX-Einsatz fest, weil sie damit den gesetzlich geforderten Nachweis für die Entsorgung des verbrauchten AKW-Brennstoffs erbringen können. Japan wiederum läßt in La Hague weiterhin AKW-Brennstoff aufarbeiten, weil das Land grundsätzlich an der Fiktion einer unabhängigen Plutonium- Energiewirtschaft festhält.

Auch EdF verabschiedet sich vom Plutonium

Der französische Stromkonzern EdF läßt heute bereits durchblicken, daß nicht nur die Brüter, sondern auch die Nutzung von MOX-Brennstoff nicht mehr in sein Konzept für die moderne Stromversorgung passen. So ist das derzeitige MOX-Programm in Frankreich auf 5 bis 7 Reaktoren beschränkt, und EdF weigert sich, langfristige Abnahmeverträge für den teuren Plutoniumbrennstoff zu unterzeichnen. Noch hält Atom- Frankreich offiziell an der Formel fest, daß abgebrannter AKW-Brennstoff aus französischen Atomkraftwerken in La Hague wiederaufgearbeitet werden soll. Doch schaut man sich die Zahlen genauer an, so ist heute bereits zu erkennen, daß Frankreich seine Wiederaufarbeitungsdoktrin nicht mehr aufrechterhalten kann. Bis ins Jahr 2000 rechnet man in Frankreich mit 19.000 Tonnen abgebrannten AKW-Brennstoffs. Doch bis Ende des Jahrhunderts könnten in La Hague nur maximal 8.000 Tonnen französischer Brennstoff aufgearbeitet sein.

Auch die EdF wird sich also über die direkte Endlagerung von Atommüll Gedanken machen müssen. Dies um so mehr, weil die Firma die Wiederaufarbeitungsrate noch weiter senken will. Denn für die immensen Plutoniummengen gibt es keine Verwendung. Schon entsteht der Eindruck, als würde EdF die Plutoniumpläne am liebsten komplett aufgeben. Nur scheut der hochverschuldete Atomstromer die Konsequenzen für die internationale Atomindustrie. Die gänzliche Aufgabe des MOX-Programms würde angesichts fehlender Brüter die Wiederaufarbeitung überflüssig machen. Das endgültige Ende der Plutoniumproduktion für EdF aber, so schrieben EdF-Brennstoffmanager schon Ende 1989, „hätte weltweit erhebliche Konsequenzen, die für die Atomenergie insgesamt schädlich wären“.