Aktionimus soll Vertrauen schaffen

Im Osten führen die Schwierigkeiten beim Wirtschaftsumbau regelmäßig zur Beschleunigung des Transformationsprozesses/ Das Zukunftsvertrauen der Menschen wird zur wichtigen Ressource  ■ Von Kurt Hübner

Die Transformation der sozialistischen Plan- in kapitalistische Geld- und Marktwirtschaften ist ein schwieriges Geschäft für die in diese Prozesse involvierten Bevölkerungen: Die politischen und ökonomischen Hoffnungen eines freieren und vor allem materiell besseren Lebens, die die Umbrüche in den ost- und mitteleuropäischen Gesellschaften motiviert und angetrieben haben, erscheinen heute vielen als naive Illusionen, denen man sich nicht zuletzt auch aus dem Grunde hingegeben hat, um den ermüdenden Widrigkeiten des Alltagslebens mit Vorstellungen über eine bessere Zukunft zu entkommen.

Solcher Illusionen waren viele. Es gab sie nicht nur bei den Menschen in den sozialistischen Gesellschaften, verbreitet waren sie auch im Westen: bei den Unternehmen, die sich von der kapitalistischen Inwertsetzung dieses Wirtschaftsraumes hohe zukünftige Profite versprachen; bei den Politikern, die sich aus dem Zusammenbruch des Realsozialismus und der neuen Begeisterung für einen liberalen Kapitalismus Legitimationsanleihen für ihre marktliberalen Restrukturierungsstrategien erhofften; bei den etablierten Wirtschaftsexperten der einschlägigen Großinstitutionen, die sich mit ihren Aussagen über die „Unmöglichkeit von Planwirtschaften“ und der in jeder Hinsicht überlegenen Marktsteuerung praktisch bestätigt sahen. Auch im Westen sind viele dieser Träume geplatzt oder haben einer realistischeren Sichtweise Platz gemacht.

Die Transformation der Planwirtschaften in kapitalistische Geld- und Marktwirtschaften läßt sich als ein wirtschaftlicher Akt interpretieren, bei dem die Käufer — die Bevölkerungen — sofort hohe Anzahlungen und dann stetige Raten für ein Produkt bezahlen müssen, von dem sie nicht wissen, ob sie über dieses Produkt überhaupt einmal werden verfügen können. Ein solches Zukunftsgeschäft setzt, neben vielen stofflichen und wertmäßgen Bedingungen, vor allem ein großes Zukunftsvertrauen der betroffenen und involvierten Menschen voraus.

Im Prozeß der Transformation wird Vertrauen, so das wirtschaftsethnologisch gefaßte Argument von Karl Polanyi, zu einer politischen Ressource, deren Existenz und deren Stabilität in hohem Maße über das Gelingen des angestrebten Projektes entscheidet.

Die Herstellung von Vertrauen hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der Fähigkeit der politischen Klassen, ein konsistentes, praktikables und sozial effizientes Reformprogramm zu entwickeln und operativ umzusetzen. Wie schwierg ein solches Vorhaben zu realisieren ist, läßt sich tagtäglich in allen Transformationsökonomien beobachten: Reformprogramme und ihre einzelnen Sequenzen werden revidiert, modifiziert oder erweisen sich schlicht als untauglich gegen die beharrende Kraft des Faktischen.

Eine Reaktion auf solche Probleme war bislang die zeitliche Beschleunigung der Transformationsprozesse: Ließ sich die schnelle Integration der ehemaligen DDR in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der alten Bundesrepublik noch als deutscher Sonderfall begründen, so zeigen die Erfahrungen mit der Systemtransformation in den anderen ex-sozialistischen Ländern, daß die Strategie der Beschleunigung längst zu einem gemeinsamen Merkmal der Umwandlungsprozesse geworden ist.

So wurden in vielen Fällen etwa die Preise liberalisiert, bevor überhaupt einmal die Aufgabe angegangen wurde, die bestehenden staatlichen Monopole und Oligopole aufzulösen und damit wenigstens Grundvoraussetzungen einer Preiskonkurrenz zu bereiten. Preisfreigabe und vermachtete Angebotsstrukturen müssen nahzu notwenig zu steigenden Preisen und, bei staatlich kontrollierten Lohnbildungen, zu einer Schlechterversorgung der Nachfrager führen.

Selbstredend verbergen sich hinter solchen Reformmanövern nicht nur oder gar in allererster Linie „Anfängerfehler“ der politischen Klassen. Derartige Reformentscheidungen spiegeln auch die politischen Kräfte- und Interessenkonstellationen in den Transformationsgesellschaften wider, schließlich gibt es im unübersichtlichen Neuerungsprozeß die Chance, mit wenig Aufwand schnell viel zu verdienen. Deshalb ist noch keineswegs entschieden, ob der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft nicht, wie der Soziologe David Stark in 'East European Politics and Societies‘ am Beispiel Ungarns menetekelnd zu veranschaulichen versucht hat, in einer „Clan- Wirtschaft“ steckenbleibt.

Die Beschleunigungsstrategie darf als eine Antwort auf dieses Problem gedeutet werden: Je schneller die Reformsequenzen geschaltet werden, so die Hoffnung, desto größer sind die Chancen eines Erfolgs, und desto kleiner können die insgesamt auflaufenden Umstellungskosten gehalten werden. Einer solchen Überlegung dürften sich auch Entscheidungen wie etwa die der russischen Regierung verdanken, schnell, in diesem Falle bis zum 1.August diesen Jahres, die unbeschränkte Konvertibilität ihrer Währung einzuführen.

Die Rechtfertigung für diese Entscheidung, nur auf diesem Wege die Auflage zur Vollmitgliedschaft im internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen, ist wenig überzeugend. Zwar sieht das IWF-Statut in der Tat die Herstellung von Konvertibilität für seine MItglieder vor, doch ist die Zahl der Mitglieder mit beschränkter Konvertibilität größer als die Zahl der Mitglieder mit unbeschränkter Konvertibilität. Zu erinnern ist auch, daß sich die westeuropäischen Ökonomien bis zum Jahr 1958 mit der Einführung der freien Umtauschbarkeit ihrer Währungen Zeit gelassen haben. Länder wie Frankreich und Italien haben erst jüngst, in Zusammenhang mit dem EG-Binnenmarktprojekt, bedeutende Einschränkungen der Währungskonvertibilität aufgehoben.

Solche historischen Erfahrungen könnten dafür sprechen, den Zeithorizont des Reformprogramms zu strecken und die Konvertibilitätssequenz in kleinere Schritte aufzuteilen. Vorstellungen eines „Minimum Bang“, wie sie beispielsweise von John Williamson — Senior Fellow am Institute for International Economics in Washington — entwickelt wurden, stoßen freilich bei den politisch-ökonomischen Eliten der Transformationsökonomien bislang auf wenig Resonanz.

Václav Klaus, marktorthodoxer Finanzminister der CSFR, bezeichnet derartige Konzepte in dem von John Williamson herausgegebenen Sammelband Currency Convertibility in Eastern Europe als „technokratische und unrealistische Glaubensbekenntnisse“, die endgültig aus der Geschichte verabschiedet werden sollten. Noch ist die Bereitschaft zur schnellen institutionellen Faktensetzung in Ost- und Mitteleuropa ungebrochen. Der weitere ökonomische Prozeß wird erweisen, ob Vertrauen tatsächlich mit Beschleunigung erkauft werden kann.

Der Autor ist Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Gesamthochschule Kassel